Alpenjuwelen-Tour : Über alle Berge
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Über Ehrwald Bild: Elena Witzeck
Eine Alpenüberquerung gehört zu den Abenteuern der Stunde. Die Pandemie hat den Trend noch beschleunigt. Spezialisierte Anbieter versprechen, dass das auch Anfängern gefahrlos und genussvoll gelingt. Ein Versuch.
Es ist früh, noch liegt der Wald im Dunkeln. Noch klirrt die Luft, starr die Natur. In dieser Höhe, um diese Zeit ist sie fremd und unwirtlich, und bis die Sonne über den Gebirgskamm kriecht, wird nur das ferne Läuten von Kuhglocken auf menschliche Einmischung hindeuten. Ginge man jetzt los, müssten erst die Beine warm werden und der Geist belüftet. Hier darf man nicht einfach so dahintrotten. Ein falscher Schritt kann gefährlich sein. Verlaufen ist auch sehr schlecht, denn es kostet Kraft. Wer sich am Berg nicht auskennt, ist schnell verloren.
Noch ist es wohlig warm. Jetzt dringen erste Strahlen durch die dichten Kiefern. Man kann das Erwachen des Waldes ohne klamme Wanderschuhe durch ein bodentiefes Fenster vom Bett aus beobachten. Es muss noch gar nicht losgehen. Man könnte jetzt einfach barfuß zur Dachterrasse laufen, wo der Pool nach draußen führt und nahtlos in die Dolomiten übergeht, und im warmen Wasser der Bergwelt beim Morgenritual zusehen. Und danach Rührei mit Speck. Herrlich, so eine Alpenüberquerung.
Ich würde lügen, wenn ich behauptete, da wären wunde Stellen, die solchen Müßiggang rechtfertigen. Etwas matte Beine vielleicht, aber das kann man auf keinen Fall zugeben vor echten Bergsteigern wie Georg Pawlata, der schon beim Frühstück sitzt, auch wenn er sicherlich nur nachsichtig lächeln würde, die paar Kilometer am Tag. Gleichwohl: Für Stadtmenschen sind auch zwölf Kilometer im Hochgebirge ein Marsch und ein Schotterfeld ein Wagnis. Keiner weiß das besser als er, der Geograph aus Innsbruck, der die Bedürfnisse der Flachlandmenschen und nicht mehr ganz Trittsicheren jahrelang studiert hat. Dann hat er entschieden: Auch die können über die Alpen laufen.
Und das möchten wir doch alle. Viel lieber laufen wir mit Ziel und Sinn als einfach so dahin. Besonders die Deutschen lieben Fernwanderungen. Italiener würden nie auf die Idee kommen, Berge zu überqueren, um später von den beeindruckenden Distanzen berichten zu können, erst recht nicht in Richtung Deutschland. Der langobardische König Authari ging im sechsten Jahrhundert auch nur über den Brenner nach Regensburg, um Theolinde, die Tochter eines Herzogs aus Bayern, abzuholen.
Die Alpenüberquerung von Heinrich dem Vierten, der sich in Rom beim Papst vom Kirchenbann befreien lassen wollte, beschrieb ein Mönch aus dem Gefolge mit den Worten: „Der Winter war äußerst streng, und die sich ungeheuer weit hinziehenden und mit ihren Gipfeln fast bis in die Wolken ragenden Berge, über die der Weg führte, starrten so von ungeheuren Schneemassen und Eis, dass beim Abstieg auf den glatten, steilen Hängen weder Reiter noch Fußgänger ohne Gefahr einen Schritt tun konnte.“ Dem Vernehmen nach rutschte die Königin auf einem Fell ins Tal. Nur dank ortskundigen „Eingeborener“ kam der Hofstaat durch. Schon eine mittelschwere Alpentour ist auch heute noch für gewöhnliche Spaziergänger anspruchsvoll, im vergangenen Sommer gab es einen signifikanten Anstieg bei Unfällen im Gebirge, die weltweiten Reisebeschränkungen trieben viele in die Berge.
Deshalb konzipieren immer mehr Ortskundige Touren auf Wegen, die fast jeder laufen kann. Die Alpenüberquerung von Innsbruck nach Meran ist ein Klassiker mit Hüttenübernachtung, Voraussetzung: Erfahrung mit Bergtouren. Georg Pawlatas Alpenüberquerung vom Tegernsee nach Sterzing, 115 Kilometer, wandern jedes Jahr Tausende. Für diejenigen, die sich eine solche Fernwanderung noch nicht ganz zutrauen, die beschwerliche Abschnitte abkürzen und stilvoll übernachten wollen, hat er vor zwei Jahren ein Alternativprogramm entwickelt: Genusswandern von der Zugspitze nach Bozen. Acht Tage schwindelfrei durch Hochgebirgstäler und auf dem Alpenhauptkamm. Er nennt es „Alpenjuwelen“.