Abschied von gestern (1) : Dort, wo die Glocken klingen hell
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Neue Bedürfnisse in Fruity Pink
Auch sein Lokal gleicht einem Museum, mit den schönsten Leuchtern, die man sich vorstellen kann: Lüstermanderl und Lüsterweiber - Lampen, bei denen aus Hirschgeweihen verrückte Figuren erwachsen wie früher die nackten Weiber am Bug von Segelschiffen. Aus Burgen und Jagdhäusern hat Werner Kastl sie zusammengetragen: Heiligenfiguren, Jäger, Bauern, Menschen in Tracht. Das da, sagt Werner Kastl, und deutet mit einer seiner beiden Krücken an die Decke des Raums, das da hing sogar mal in einem Hohenzollernschloss. Es ist eine warme, kuschelige Atmosphäre, die das Licht dieser Lampen verbreitet.
Schuld daran, dass niemand mehr in die Wirtshäuser komme, sagen manche, sei die „Sportalm“. Ein neues Lokal in einer der drei Tankstellen, die allesamt dichtgemacht haben, weil man in Österreich, nur ein paar Minuten entfernt, viel billiger tanken kann. Dort treffen sich die jungen Leute, sitzen unter riesigen Bildschirmen und verfolgen Sportveranstaltungen irgendwo auf der Welt. Es ist ein Kommen und Gehen, und selbst nach Mitternacht poltert noch eine ganze Gruppe hinein. Klar gibt es noch ein Bier, sagt der junge Mann hinter der Theke, auch zwei oder drei - und wundert sich über die Frage.
Es ist eine neue Generation, die vorsichtig nach Bayrischzell greift, die Kinder derer, die noch die große Zeit erlebt haben, aber alle schon so alt, dass sie selbst längst eine Familie haben oder deren Kinder sogar schon aus dem Haus sind. Josef Eberhardt hat ihnen vorgemacht, wie man behutsam ein Konzept ändert, als er die Andenken und Enzianfläschchen in seinem Geschäft allmählich reduzierte, erst Mützen, Handschuhe und Wanderstöcke ins Programm nahm, dann immer mehr Sportartikel und schließlich alle alte Ware zu Sonderpreisen verramschte. Nun hat er ein Sportgeschäft, das sich den Bedürfnissen von Kurzurlaubern anpasst und seinen Bestand mit der Jahreszeit ändert. Ein Blick ins Schaufenster mit Schuhen und Rucksäcken in allen Farben von Fruity Pink bis Fairytale Green und wie die heute sonst noch heißen, setzt selbst dem fußlahmsten Feriengast den Floh ins Ohr, den Wendelstein besteigen zu müssen - oder zumindest adäquat gekleidet mit der Seilbahn hinaufzufahren.
Die Konkurrenz ist Djerba und die Türkei
Einen Laden weiter bieten die Heckmairs im Haus der Geschenke statt schmiedeeiserner Rumsteher und kupferner Kannen jetzt Dekoratives und Haushaltswaren im modernen Landhausstil an. Das kaufen auch die Einheimischen, wenn sie sich neu einrichten. Und schon hat Burgi Heckmair eine Vison: dass die Gewerbebetriebe des Orts sich zusammenschließen und mit einem gemeinsamen Prospekt in den Hotels der Umgebung für sich werben: für den Einkaufsausflug von Tegernsee her und von Schliersee. Denn nicht die Nachbargemeinden sind ihre Konkurrenten, das hat man begriffen, sondern Djerba, die Türkei und die Dominikanische Republik. Die junge Friseuse im Ort, die aus dem Rhein-Main-Gebiet kommt und den Salon übernommen hat, den der vorige Besitzer dreiunddreißig Jahre lang führte, ist schon mit von der Partie. Es dauerte ein paar Monate, bis die Einheimischen Vertrauen zu ihr fanden, aber jetzt sieht man plötzlich in den Wirtshäusern und im Supermarkt viel flottere Frisuren als früher. Und für die Trachtenfrisuren kommt die alte Friseuse dann und wann in den Salon und bringt sie der jungen Friseuse bei.