Abschied von gestern (1) : Dort, wo die Glocken klingen hell
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Vielleicht hat niemand das Problem Bayrischzells schöner formuliert als Andreas Thaler, der im Hauptberuf Spengler ist und im Nebenberuf Ski- und Bergführer, der aber in der verbleibenden Zeit das Bauerntheater von Bayrischzell leitet und dort ebenso als Schauspieler wie Autor zugange ist, so dass er sich diesen wunderbaren Satz für seine Rolle als Fremdenverkehrsdirektor in der Posse „A bärige G’schicht“ selbst in den Mund legte: „Man hod gemoant, es geht imma so weida! Und warum domois so fui zu uns kemma san, des woas ma bis heid no ned.“
Es ist ein herrliches Stück, von dem Andreas Thaler mit entwaffnender Bescheidenheit sagt, es habe sich eigentlich von allein geschrieben - er habe dazu nur die Artikel und Leserbriefe aus der lokalen Presse ausschneiden müssen. Im Zentrum steht ebenjener Fremdenverkehrsdirektor, den der Bär Bruno auf die Idee für ein „gemeindliches, touristisches, sommerlochfüllendes, fremdenverkehrsförderndes, schlagzeilensicherndes Projekt“ gebracht hat, „dass mia tourismusmassig wieda a bisl auf d’ Fias kemman“: Ein Raubtier muss her.
Heute geht um neun Uhr das Licht aus
“Mei friara, do is hoid no wos ganga in da Saison. Do hosd mit 10 km/h durchn Ort fahrn miasn, sonst waarn da drei Herrische auf da Motorhaum omgsitzt“, ruft er jene Tag zurück, als das „Deutsche Haus“ nicht wusste, woher es all die Schweinshaxen nehmen soll. Doch die Übernachtungszahlen „san in den Keller grauscht, dass glei ois zschbad is!“ Und dann stellt er im Wirtshaus seinen Plan vor, jemanden im Kostüm einen Bären spielen zu lassen - ohne freilich zu ahnen, dass längst wieder ein Bär im Wald unterwegs ist. Was folgt, ist ein Techtelmechtel zwischen Fremdenverkehrsdirektor und Tourismusministerin, die im Ort urlaubt, eine Castingshow im Wirtshaus sowie das Poltern zweier sturzbetrunkener finnischer Jäger, deren Spiel die dadaistischen Aufführungen der zwanziger Jahre aussehen lässt wie das Krippenspiel an Weihnachten im Kindergottesdienst.
Alle zwei Jahre tritt die Truppe, die gar keine Truppe ist, im Tanzsaal des Gasthofs „Post“ mit ihren Stücken auf, sechs, sieben Mal und jedesmal ausverkauft, und danach kann der Andreas Thaler sehen, woher er für die nächste Spielsaison wieder Leute findet. Und dann erzählt auch er, der doch gar nicht so alt ist, von früher, als läge es Generationen zurück, und sagt, dass man doch früher nur ins Wirtshaus hatte gehen müssen, um zu sehen, wer sich für die Bühne eigne. Die standen dort nachts um zwölf oder eins auf den Stühlen und Tischen und schwangen große Reden und sangen in den schiefsten Tönen das gesamte bayerische Liedgut durch. Aber heute? Da schaltet der Wirt um neun das Licht aus, weil alle Gäste nach Hause gegangen sind.
Ja, sagt dazu Werner Kastl, der Wirt vom „Wendelstein“, ja, das stimme leider. Früher, sagt er, da sei bei ihm jeden Abend Heimatabend gewesen, ob er gewollt hätte oder nicht. Heute veranstalte er einmal im Jahr einen, und dann stünden dreißig Musiker auf der Bühne und im Saal säßen fünfundzwanzig Gäste. Selbst am Stammtisch kommen heute nur noch ein paar Mann zusammen, wo sich früher ganze Kohorten trafen.