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Mangelernährung : Hilft teure Pflanzenzucht gegen Hunger?

  • -Aktualisiert am

Macht satt, aber nicht gesund: Die meisten Kinder in Afrika essen weißen Mais. So auch Comfort Kangwa, die Tochter des sambischen Bauern Felix Kangwa. Bild: Frank Röth

Konzerne stecken viel Geld in die Zucht von Mais und Süßkartoffeln mit Vitamin A. Hilft das armen Kindern oder vor allem Unternehmen? Eine Feldstudie in Sambia.

          6 Min.

          David Samazakas Hoffnung wächst an grünen Halmen, mannshoch, GV671A heißt sie, GV672A und GV673A. Codes für eine bessere Zukunft. Was hier wächst, eine Autostunde nördlich von Sambias Hauptstadt Lusaka, auf Feld 16 des Golden Valley Research Center, das soll Großes bewirken. Das Leben Hunderttausender Kinder retten. Millionen Kindern die Sehkraft bewahren. Sie gegenüber Infektionen stärken, Masern oder Durchfall. Doch an diesem Morgen wirkt das Wundermittel ziemlich unscheinbar: Mais.

          Erbarmungslos strahlt die Sonne auf Maispflanzen, vor denen David Samazaka steht. Es ist noch einige Wochen vor Beginn der Ernte. In den vergangenen Tagen setzte der Regen aus; gerade zu dem Zeitpunkt, als er so nötig war. Samazaka tritt näher an die Halme heran, greift schmale Blütenstengel. Er kontrolliert, ob die künstliche Bewässerung die Pflanzen ausreichend mit Nährstoffen versorgt bekommt. „Sieht gut aus“, sagt er zu einer Kollegin und macht sich Notizen.

          Bald werden hier Maiskolben geerntet: bis zu 25 Zentimeter lang, 250 Gramm schwer und vor allem: Sie werden bei der Ernte orangenfarben leuchten. Das ist ihre erste Besonderheit.

          Die weißen Kolben sind so fad

          Normalerweise pflanzen die Bauern in der Region Maissorten, die weiße Kolben tragen. Gekocht schmecken sie fad und trocken. Sie werden meist zu Maismehl verarbeitet, aus dem ein fester Brei gekocht wird. Nshima heißt der in Sambia, Ugali in Tansania, Pap in Südafrika. Er wird auch in Malawi und Botswana gegessen, in Zimbabwe und Nigeria.

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          Was in Asien der Reis, ist in weiten Teilen Afrikas der weiße Maisbrei – die Grundlage aller Mahlzeiten. Und das wird zu einem Problem.

          Die sambische Regierung subventioniert seit Jahren die Maisproduktion, ein Abkauf wird zu einem Festpreis garantiert. So möchten die Politiker die Bauern im Land motivieren, Mais anzubauen, und somit Hungersnöte vermeiden. Fährt man durch Sambia, sieht man deshalb meilenweit meist nur noch eine Pflanze auf den Äckern: Mais. Eine fatale Entwicklung, eine gefährliche. Die zu viel drängenderen Fragen führt: Wer in den kommenden Jahrzehnten bestimmt, was auf den Feldern angebaut wird, und wer am Ende davon profitiert.

          Versteckter Hunger

          In Sambia gilt jedes zweite Kind unter fünf Jahren nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation als mangelernährt. Es leidet damit meist keinen Hunger, doch ihm fehlen lebenswichtige Nährstoffe. Eisen. Zink. Vor allem Vitamin A. Experten sprechen vom „hidden hunger“, dem versteckten Hunger. Körper stoppen wegen des Mangels früher das Wachstum, Gehirne entwickeln sich langsamer.

          Die Menschen spüren ihr Leben lang die Folgen, sind anfälliger für Infektionen, können sich schlechter konzentrieren. Einige sterben vor ihrer Jugend. Das Land liegt auf einem der letzten Plätze Afrikas, wenn es um eine ausgewogene Ernährung für Kinder geht. Nur Malawi, Äthiopien und Kongo kommen auf schlechtere Werte.

          Ein Berg von Maiskolben auf dem Markt in der sambischen Stadt Kasama.
          Ein Berg von Maiskolben auf dem Markt in der sambischen Stadt Kasama. : Bild: Frank Röth

          Dabei boomt Sambias Landwirtschaft; seit 2011 wird die südafrikanische Nation zudem von der Weltbank in der Gruppe der Länder mit einem niedrigen mittleren Einkommen aufgeführt, wie etwa Ghana, Marokko oder die Ukraine. Hier leben nicht die Ärmsten. Trotzdem scheint es nicht zu reichen.

          Eine Schande sei das, sagt David Samazaka. Und während er das sagt, beginnt er zu schreien, als müsse er eine Menschenmasse unterhalten. Dabei stehen nur drei Menschen auf dem Feld. „Dieser Boden! Diese Regenfälle! Diese Sonne! Sambia könnte ein Füllhorn des Lebens sein. Die Menschen leben im Paradies, aber sie spüren davon nichts.“ Das will er ändern.

          Der bioverstärkte Mais leuchtet golden

          Samazaka, 51, ist Biologe und Pflanzenzuchtexperte. Er arbeitet für die amerikanische Hilfsorganisation „Harvest Plus“. Ihr Ziel: besonders nährstoffreiche Pflanzen zu züchten. „Biofortified“ heißt diese Methode, bioverstärkt. Weltweit initiiert „Harvest Plus“ Projekte, um nahrhaftere Lebensmittel auf den Speiseplan der Menschen zu bringen.

          In Bangladesch stellen sie Bauern Reissaatgut zur Verfügung, das besonders reich an Zink ist. In Ruanda Bohnen mit hohen Eisenwerten. In Sambia haben sie sich auf Mais spezialisiert, der einen hohen Anteil Betacarotin in sich trägt; einen Stoff, der im Körper später zu Vitamin A umgewandelt wird. Dafür haben sie europäische mit südafrikanischen, mit südamerikanischen und mit ostafrikanischen Maispflanzen gekreuzt, immer und immer wieder.

          Versuchsfelder von „Harvest Plus“ im Golden Valley in Sambia.
          Versuchsfelder von „Harvest Plus“ im Golden Valley in Sambia. : Bild: Christopher Piltz

          Generation für Generation stieg der Anteil an Betacarotin. Stieg die Dürreresistenz. Die Widerstandsfähigkeit gegen Insekten. Das kostete Millionen. Als das erste Saatgut auf den Markt kam, vor sechs Jahren, sprachen einige Landwirte vom „Golden Maize“-Zeitalter. Geht es nach Samazaka, ist die Frucht mehr wert als Gold.

          Der Kampf gegen Vitamin-A-Mangel in Sambia ist ein langer. Die Regierung ließ vor einigen Jahren Zucker künstlich mit Vitamin anreichern. Die Weltgesundheitsorganisation verteilt zweimal im Jahr Vitaminkapseln an Familien. Der Anteil der Mangelernährten sinkt – aber zu langsam. „Nichts hilft so gut wie der Mais“, sagt Samazaka. Fast jeder Sambier isst täglich Mais. Direkter kann man nicht in den Alltag eindringen. 250 000 Landwirte würden inzwischen den orangenfarbenen Mais anbauen, in der Hälfte aller Distrikte werde inzwischen das Saatgut verkauft. „Der Mais wird eine Erfolgsgeschichte“, sagt Samazaka.

          System-Diskussionen über Saatgut

          Der Mais sei kein Erfolg, sondern Teil des Problems, sagt Emanuel Damba. Er sitzt nur wenige Autominuten entfernt von dem Versuchsfeld, auf dem Samazaka sein Loblied auf den Mais sang. Eine Lodge am Rande eines Highways, angeschlossen an eine Biofarm. Hinter den Gebäuden öffnet sich Weideland, Rinder grasen, Truthähne picken, Bauernhofidylle. Damba veranstaltet hier eine Tagung mit sambischen Landwirtschaftsaktivisten, ihr Thema: die nationale Saatgutpolitik.

          Damba kennt die Argumente von „Harvest Plus“. Für ihn klingt das alles nach billiger Werbung. Er ist Vorsitzender der Allianz für Agrarökologie und Biodiversität Sambias. Er kämpft für eine ökologische Landwirtschaft, für eine Natur, frei von Pestiziden und künstlichen Düngern. Sein Hauptgegner: die großen Agrarkonzerne, die mit ihrem Saatgut, ihren Düngemitteln und ihren Pflanzenschutzmitteln den Markt beherrschen. Und genau diese profitierten vom Vitamin-A-Mais, sagt Damba.

          Da es sich bei der Züchtung um eine Hybridart handelt, können die Bauern nicht selbst Samen ziehen, haben sie einmal die Pflanzen angebaut. Hybridpflanzen erhalten nur für eine Generation ihre besonderen Eigenschaften; ab der zweiten Generation gehen diese verloren. Die Landwirte müssen deshalb Saison für Saison neues Saatgut kaufen. Zudem brauchen Hybridpflanzen mehr Dünger.

          Die Lizenzen für das Saatgut der Vitamin-A-Maissorten in Sambia besitzen drei der größten Agrarkonzerne, die im Land aktiv sind: Seedco, Zamseed und Kamano Seeds. David Samazaka von „Harvest Plus“ stört das nicht; er sagt, es sei nachhaltiger, Unternehmen die Lizenzen zu überlassen als Hilfsorganisationen – schließlich seien die oft nur für wenige Jahre aktiv. Unternehmen würden langfristiger denken.

          Ökolandbau oder Grüne Gentechnik?

          Emanuel Damba sagt, der Vitamin-A-Mais zwinge gerade Kleinbauern in neue Abhängigkeiten. Er sei Teil einer industriellen Landwirtschaft, die die Böden auslauge, die Kleinbauern verdränge und die vor allem eines verstärke: die Monokulturen auf dem Feld.

          Früher, als er noch ein Kind war, erinnert sich Damba, da glichen die Sommerferien einer Reise ins Schlaraffenland. Jedes Jahr fuhr er zu seinen Verwandten aufs Land, und auf ihren Feldern wuchs Mais neben Süßkartoffeln, neben Kürbissen, neben Erdnüssen, neben Augenbohnen, neben Kichererbsen. Jeden Sommer nahm er einige Kilo zu und kehrte gut genährt zurück zur Schule. Mangel kannte damals keiner. Heute, sagte Damba, müsse er Lebensmittel mitbringen, wenn er seine Verwandten im Dorf besucht.

          Die meisten würden nur noch Mais anbauen. Neulich habe er sogar von einer neuen Bohnensorte gehört, die zwar mehr Früchte tragen soll, aber deren Blätter nicht mehr essbar seien. „Natürlich eine Hybridart“, sagt Damba. Früher konnten sie die ganzen Pflanzen verwerten. Neue Kreuzungen ließen das nicht mehr zu. Für Damba sind die Millionen, die in die Züchtung des orangefarbenen Maises investiert wurden, also verschwendete Millionen. Er sagt, er kenne eine deutlich einfachere Lösung, eine günstigere: Karotten. Der Kontrast zwischen Samazaka und Damba könnte kaum größer sein. Der eine träumt von der grünen Revolution, preist die Fortschritte der Forschung. Der andere sehnt sich nach einem naturnahen Anbau, verherrlicht die Vergangenheit.

          Es ist ein unerbittlicher Kampf, der da ausgetragen wird, seit Jahren schon. Das bekannteste Opfer: der „Goldene Reis“. Er wurde in den neunziger Jahren von Forschern in der Schweiz entwickelt, und auch er barg mehr Nährstoffe in sich als herkömmliche Reissorten, vor allem mehr Betacarotin. Das Problem: Die Forscher bekamen diese Wundersorte nicht durch gezielte Züchtung, also auf natürlichem Wege. Sondern durch eine Veränderung im Erbgut der Pflanze. Durch Gentechnik.

          Weltweit sorgte der „Goldene Reis“ damals für Aufmerksamkeit. Bill Clinton lobte ihn, der Papst segnete ihn, das „Time“-Magazin zeigte ihn auf dem Titel. Er galt als Wundermittel für den Kampf gegen Hunger. Doch es regte sich bitterer Widerstand. Allen voran wetterte Greenpeace gegen den „Goldenen Reis“, startete Kampagne auf Kampagne. Mit Wirkung – bis heute hat kein Land ihn zugelassen.

          Robert Mwanga hat diesen Kampf über die Jahre mit Sorge verfolgt. Er hatte Angst, dass ihm Ähnliches widerfährt. Dass er jahrelang forscht und am Ende bekämpft wird. Mwanga ist Pflanzenzüchter in Uganda, er arbeitet für das International Potato Center. Seit dreißig Jahren beschäftigt er sich durchweg mit einer Pflanze: der Süßkartoffel. Durch jahrelange Züchtung hat er eine Sorte entwickelt, die einen hohen Vitamin-A-Anteil hat. Anfangs hatte er Probleme, die ugandischen Landwirte von seiner Süßkartoffel zu überzeugen. Aber über Jahre ließen er und seine Kollegen Werbung in Radiosender schalten, kamen zu Live-Interviews ins Studio, fuhren in die Dörfer. Heute äße jeder zehnte Haushalt in Uganda diese Süßkartoffelart, sagt Mwanga. In seiner Stimme klingt Stolz, während er das erzählt.

          „Natürlich ist die Süßkartoffel nicht die perfekte Lösung, um die Mangelernährung zu bekämpfen. Aber immerhin ist es eine Lösung!“, sagt Mwanga. Täglich würden Menschen sterben, weil ihnen Nährstoffe fehlten. Der Reis könnte da auch helfen. Würde er nur zugelassen werden. In den kommenden Jahren möchte Mwanga noch mehr seiner Mitbürger erreichen, die Vitamin-A-Süßkartoffel populärer machen; 20 Millionen sind sein Ziel für 2020. Das wäre jeder zweite Ugander.

          Einen Erfolg hat Mwanga schon erzielt, im Jahr 2016 war das. Damals bekam er den „World Food Prize“ verliehen, eine Art Nobelpreis für Forscher im Bereich Ernährung und Landwirtschaft. Mwanga sagt, er habe sich gefreut, dass die Welt endlich vom Kampf gegen die Mangelernährung erfährt. Dass Menschen ihre Arbeit wertschätzen und sie nicht immer nur kritisieren. Damals, auf der Bühne im Iowa State Capitol Building in Des Moines, Iowa, wurden noch drei weitere Forscher ausgezeichnet. Einer von ihnen war Howarth Bouis. Er gründete vor 25 Jahren die sambische Hilfsorganisation „Harvest Plus“.

          Race to Feed the World ist ein Projekt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, gefördert durch das European Journalism Centre über dessen Programm „Innovationen im Entwicklungsjournalismus“.

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