Proteine in Pflanzenform : Die Sojabohne steht vor den Toren Wiens
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Eine unreif geerntete Sojabohne (Symbolbild). Bild: Picture-Alliance
Sojabohnen kommen derzeit in Massen als Importware aus Brasilien. Gehört aber die Zukunft der Produktion Europa? In Österreich nimmt der heimische Anbau Fahrt auf.
Der Ackerboden macht nicht immer, was der Bauer will, und derzeit ist er tiefgefroren. Leopold Ripfl, der breitschultrige Biobauer, zieht seine Kappe tiefer ins Gesicht. Er steht vor seinem Hof in Großhofen, einem Nest in Niederösterreich, eine halbe Stunde Autofahrt von Wien entfernt. In der Nacht hat es wieder gefrostet, am Horizont drehen sich die Windräder, entlang der Felder stehen winterkahle Kirschbäume.
Großhofen besteht aus einer Handvoll Gebäuden, einem Gemeindehaus mit Feuerwehr und einer Kapelle. Schon Ripfls Urgroßvater hat hier Landwirtschaft betrieben, dann der Großvater und der Vater. Vor zehn Jahren hat Ripfl den Betrieb auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Wo der konventionelle Bauer synthetische Hilfsmittel in der Hand hätte, bleiben ihm als Biolandwirt nur Erfahrung, Instinkt – und die Sojabohne.
Noch liegt Schnee auf seinen Feldern, noch warten die Bewässerungsrohre zu Türmen an der Backsteinwand gestapelt auf ihren Einsatz im Frühjahr. Doch sobald die Bodentemperatur zehn Grad erreichen wird, wird Ripfl Sojapflanzen aussäen. Nicht auf der gesamten, aber doch zehn Prozent seiner Ackerfläche. Er macht das jedes Jahr.
Optimal in die Fruchtfolge integriert
Die Sojabohne hilft ihm, eine gesunde Fruchtfolge, also einen bodenschonenden Kreislauf verschiedener Pflanzen auf einem Stück Acker, einzuhalten. Sie ist der Jackpot in der Fruchtfolge, weil sie keinen Dünger braucht, sondern sich den Stickstoff mithilfe von Bakterien aus der Luft holt. „Als Biolandwirt kann ich nicht einfach den Mineraldünger am Feld verteilen“, sagt Ripfl. Die konventionelle Landwirtschaft kann es sehr wohl: Sie bringt jährlich weltweit rund 200 Millionen Tonnen Kunstdünger aus.
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Mehr erfahrenLeopold Ripfls Sojabohnen sind nicht die einzigen in Österreich. Auf 64.000 Hektar haben österreichische Landwirte im vergangenen Jahr die ursprünglich asiatische Kulturpflanze ausgesät, ein Viertel davon wie bei Ripfl in biologischer Variante. Damit ist die Hülsenfrucht nach Weizen, Gerste und Mais die viertwichtigste Feldfrucht auf österreichischen Äckern - Tendenz steigend.
Das kleine Österreich ist mit 190.000 Tonnen Soja schon der fünftgrößte Produzent in der EU. Und: In keinem anderen Land der EU geht ein ähnlich hoher Anteil in die Lebensmittelproduktion, nämlich die Hälfte. 20 Prozent des in der EU ausgebrachten Soja-Saatguts kommt ebenfalls von hier. Man kann es auch so sagen: An Österreich, kulinarischer Heimat von Leberkäse, Schnitzel und Tafelspitz, kommt die europäische Sojawirtschaft nicht vorbei. Wie das?
Österreich war nicht immer ein Sojaanbauland. In der Feldfruchtstatistik taucht die Pflanze überhaupt erst 1990 auf. Ein von Subventionen aufrecht erhaltener Sojaanbau hatte sich etabliert, da die österreichischen Getreideüberschüsse auf dem Weltmarkt nicht konkurrieren konnten. Das ist zwar die Geschichte der heutigen österreichischen Sojalandwirtschaft, aber nicht mehr ihr Erfolgsrezept. Vielmehr haben der EU-Beitritt, der die kleinteilige österreichische Landwirtschaft herausforderte, dazu beigetragen, sowie die frühe Nulltoleranz gegenüber Gentechnik – und eine Wertschöpfungskette, die von den Samen über den Acker bis ins Lebensmittelgeschäft reicht und den Bauern Absatz garantiert. Der Ursprung aber, der noch weiter zurückreicht, heißt Friedrich Haberlandt.
Unempfindlich, nährstoffreich und sogar schmackhaft
Es passt zum österreichischen Klischee, dass die Ernährungsrevolution in einem Schloss ihren Anfang hätte nehmen sollen. Im Versuchsgarten des barocken Palais Schönborn mitten in Wien, ab 1872 Sitz der „Kaiserlich-Königlichen Hochschule für Bodencultur“, erkannte der Agrarwissenschaftler Friedrich Haberlandt als erster Europäer das ernährungsphysiologische Potential der Sojabohne. Er hatte 1873 auf der Weltausstellung in Wien von der japanischen Delegation eine Handvoll Sojasamen erhalten und diese zwei Jahre später mit dem Ziel weiter gezüchtet, sie an die mitteleuropäischen Breitengrade zu adaptieren.