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Zwei Bauern, ein Jahr : Wie sehr die Ernten am chemischen Pflanzenschutz hängen

  • -Aktualisiert am

Landwirt Axel Dettweiler spritzt Fungizide auf ein Weizenfeld bei Dalheim. Bild: Wolfgang Eilmes

Landwirte legen jetzt die Grundlagen für die Ernte. Der Mai ist der Monat der Chemie. Was Bauer Dettweiler gegen Mehltau, Laus und Zünsler so aufs Feld bringt.

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          Es steht noch in den Sternen, ob die Ernte in diesem Jahr groß werden wird. Das hängt am Regen, am Wind und an der Wärme, die der Sommer bringt. Aber die Grundlagen legt der Bauer Axel Dettweiler jetzt im Mai. Ein Drittel seiner Arbeitszeit etwa verbringen er und sein Kompagnon auf dem Schlepper, dessen Anhänger weite Metallarme ausgefahren hat. Daraus sprüht er Fungizide. Azole, damit der Pflanzenpilz Septoria vom Weizenblatt verschwindet, gegen die Netzflecken und den Mehltau der Gerste.

          Und auch Insektizide, etwa Pyrethroide gegen die Grüne Pfirsichblattlaus und die Bohnenlaus. Gegen die Larven des Rothalsigen Getreidehähnchens aber – das sind von einer schwarzen Schleimschicht überzogene, nacktschneckenartige Kreaturen – spritzt er in diesem Mai nichts. Denn die Befalldichte betrug weniger als 1,2 Exemplare je Weizengras, und der wissenschaftsbasierte Ackerbau sieht unterhalb dieser Schadschwelle nicht vor, dass ein Bauer Chemikalien gegen die Larven des Rothalsigen Getreidehähnchens einsetzt.

          Am Pranger der Gesellschaft?

          Der Fachmann spricht hier vom „Schadschwellenprinzip“, und es ist Axel Dettweiler sehr daran gelegen, mitzuteilen, dass ein mitteleuropäischer Bauer nicht einfach blindwütig Chemie aufs Feld kippt. „Irgendwie stehen wir trotzdem am Pranger der Gesellschaft“, meint er. Dabei hatte er sich schon vor dem Spritzen viele Gedanken und viel Arbeit gemacht. Er ging auf die Felder, begutachtete die Halme, zählte Läuse, Getreidehähnchen, erhob Art und Ausmaß des Pilzbefalls, um zu entscheiden, welches Präparat nötig ist, welches nicht.

          Ein Jahr lang begleiten wir ihn, den Ackerbauern in Rheinhessen, und vergleichen sein Jahr mit dem eines afrikanischen Kleinbauern. Die Frage ist, worauf die Ernten basieren und wie sie steigen können, um die wachsende Bevölkerung der Welt zu sättigen. Und bei Dettweiler hat sich vieles getan seit dem letzten Besuch im Frühjahr. Ende März – das Getreide war schon gesät – steckte er die Zuckerrübensamen in den Boden, GPS-gesteuert und punktgenau, ummantelt von orange gefärbter Beize. Mit dem Ende des Frostes begann der hochtechnisierte Kampf gegen allerhand Schädlinge und Pilze, auf den Pflanzen, im Boden.

          So schön grün und bunt

          Und wie sich die Landschaft in nur wenigen Wochen verwandelt hat! Das Kerrygold-Grün der Gerste, das dunkle Grün des Weizens, der kniehoch wächst und schon die Ähren ausgebildet hat, die austreibenden Reben – all das bildet einen großflächigen Flickenteppich.

          Aber die Landschaft rund um Wintersheim ist von Hecken und Bäumen ziemlich leergeräumt, der Wind geht schneidend übers Land, die Windräder rattern, kaum eine Biene summt; in den pittoresken Bauerngärten aber, etwa dem von Axel Dettweiler, quaken die Frösche im Tümpel, da summen die Insekten und springen die blonden Kinder auf dem Trampolin.

          Ein Feld mit Gerste bei Dalheim, im Rhein-Lahn-Kreis in Rheinland-Pfalz. Bilderstrecke
          Ein Feld mit Gerste bei Dalheim, im Rhein-Lahn-Kreis in Rheinland-Pfalz. :

          Draußen ist viel zu tun: Herbizid für Winterweizen und Sommerbraugerste im April, Metamitron gegen den Weißen Gänsefuß, Ethofumesat. Allerhand Fungizide im Mai, Insektizid für die Erbsen; drei-, viermal Herbizid für die Rüben. Wenn im kommenden Jahr die Neonikotinoide verboten sein werden, erwartet Dettweiler „eine Katastrophe“ für den Rübenanbau.

          Statt Saatgutbeizung mit minimalen Dosen müsse er dann wieder zwei-, dreimal zusätzlich spritzen. „Dann wird es umwelttechnisch viel schlimmer“, sagt er. Je im Juni, Juli, August: Rübeninsektizide, im Oktober die letzte Behandlung gegen Läuse für die Gerste.

          Ein Berg an Auflagen

          Es gibt allerhand Umweltauflagen. Abstand zum Gewässer, Feldrand, Fahrgeschwindigkeit, Tageszeit. „Das übersteigt das, was ein normaler Mensch leisten kann“, sagt Dettweiler. Viele Seiten dicke Broschüren über die Mittel und ihre Nebenwirkungen, die Dettweiler an den Vorabenden studiert. Der Ackerbau ist überhaupt perfekt berechnet.

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