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Pflanzen und der Klimawandel : Wo das Saatgut lagert, das die Welt retten könnte

  • -Aktualisiert am

Der Eingang zur internationalen Genbank Svalbard Global Seed Vault in der Nähe von Longyearbyen auf Spitzbergen. Bild: dpa

Die Ernährung der Welt hängt an wenigen Saatgut-Konzernen. Damit Vielfalt erhalten bleibt, lagern am Nordpol tausende Pflanzensamen. Doch sie sind in Gefahr.

          6 Min.

          Im Nordpolarmeer liegt eine Inselgruppe mit steilen Berghängen im ewigen Eis. Dort, im Inneren eines Berges, schlafen Samen. Zu Tausenden ruhen sie in Päckchen, in Röhrchen und Ampullen und warten darauf, geweckt zu werden.

          Der Ort mit den schlafenden Samen heißt Spitzbergen. Die Inselgruppe liegt wie ein kristallenes Monument im Eismeer, zwischen dem norwegischen Festland und dem Nordpol. Dort steht der Saatguttresor der Welt.

          Auf der Inselgruppe leben nur 2310 Menschen - zusammen mit, geschätzt, dreitausend Eisbären, die zwischen Packeis und Festland hin- und herpendeln. Das arktische Klima duldet weder Bäume noch Büsche. Durch den Tresor wurde einer der unwirtlichsten Orte des Planeten zum Hüter aller Saatgutpflanzen und damit zum Bewahrer einer grünen, fruchtbaren Welt.

          Man sieht vom Saatguttresor nur den Eingangstunnel. Er ist nicht mehr, als eine scharfe Kante, die aus dem Fels ragt. Im Inneren des Berges, am Ende des 130 Meter langen Ganges, ruhen die Samen bei minus achtzehn Grad. Ihr Genmaterial ist für die Zukunft erstarrt. Zum Leben erweckt, können die Samen die Welt ernähren, sie vielleicht sogar retten. Im Tresor ist Platz für 1,4 Millionen Saatgutsammlungen.

          Die Anlage wird vom norwegischen Staat, der staatlich finanzierten Organisation Nordgen und dem Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt verwaltet und ist ein Angebot für die mehr als 1700 Genbanken auf der Welt.

          Als die Anlage 2008 eingeweiht wurde, hieß es, das Gebilde werde mindestens zweihundert Jahre lang, unbeeindruckt von Wind und Wetter, die Samen im Inneren des Berges beschützen. Der Tresor wurde extra in den Permafrostboden gefräst, der niemals tauen soll. Nicht einmal im arktischen Sommer. Für Genbanken ist das praktisch, weil keine Energie für die Kühlung der Saatgutsammlung aufgebracht werden muss.

          Gleich nach seiner Eröffnung wurde der Tresor als Doomsday Vault, also als Gewölbe für den Weltuntergang, bekannt. Ein schlafender Riese, der auf die Apokalypse wartet, um die Menschheit zu retten. Doch als 2016 klar wurde, dass Tauwasser in den Eingangstunnel sickert, unkte man, dass der Tresor nun selbst Teil des Weltuntergangs durch den Klimawandel werde.

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          Seit Frühling 2018 ist der Eingangsbereich nun eine Baustelle. Zutritt verboten. Der Permafrostboden braucht Frosthilfe. Mit speziellen Kühlmatten und Kühlungsleitungen in den Wänden soll das Gestein um den Eingang tiefgefroren werden, damit kein Tauwasser mehr in den Tunnel eindringt.

          Man bleibt gelassen

          Permafrostboden, der auftaut und matschig bleibt, ist ein neues Phänomen auf Spitzbergen. Das könnte in der Arktis in Zukunft ein großes Problem werden. Forscher des norwegischen Polarinstituts, das einen kleinen Außenposten auf Spitzbergen hat, haben herausgefunden, dass die Durchschnittstemperatur in der Gegend alle zehn Jahre um ein viertel Grad Celsius steigt. Jahr für Jahr geht das Packeis zurück.

          Könnte der Klimawandel die Samen im Tresor antauen und unbrauchbar machen? Der Mitbegründer des Saatguttresors und ehemalige Geschäftsführer des Welt-Treuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt, Cary Fowler, lässt sich von den feuchten Tauszenarien nicht aus der Ruhe bringen. "Der Saatguttresor ist vom Klimawandel so wenig berührt, wie unsere Kühlschränke von Temperaturschwankungen in der Küche", sagt er.

          Kurz vor dem Eingang in die schlafende Welt der globalen Samen.
          Kurz vor dem Eingang in die schlafende Welt der globalen Samen. : Bild: Tirza Meyer

          Die Tresorkammern liegen schließlich tief im Berg. Selbst dann, wenn das Schmelzwasser den Tunnel bis zu den Kammern hinunterliefe, würde es spätestens in den Räumen - bei minus achtzehn Grad - zu Eis erstarren. Und bis die Tresorräume für die Saatgutsammlung zu warm würden, müssten erstmal viele Tonnen Gestein auftauen.

          Gegen Tsunamis gesichert

          Dass sich das Wetter ändern könnte, hatten die Bauherren beim Bau auch schon eingeplant. Der Eingang liegt hoch am Berg. Sogar wenn das gesamte Meereseis schmelzen und ein Tsunami an die Küste rollen würde, läge der Tresor noch rund zwanzig Meter über dem Meeresspiegel. Das Saatgut im Inneren sollte auch im schlimmsten Katastrophenszenario noch sicher sein.

          Dass der Eingangstunnel derzeit nachgebessert wird, das wird als Sicherheitsvorkehrung beschrieben. Auch will man verhindern, dass die Leute von Nordgen, die in Spitzbergen die Einlagerungen überwachen, mit ihren Wägelchen mit den Saatgutproben auf einer Eisbahn in Richtung Tresorraum schlittern müssen, wenn das Tauwasser am Tunnelboden gefriert. Schließlich werden mehrfach im Jahr neue Saatgutlieferungen geschickt, die in den Regalen im Berginneren verstaut werden müssen.

          Der Geschäftsführer Fowler findet die für den Tresor geläufige Bezeichnung Doomsday Vault auch verkehrt. Es sei kein Tresor des Jüngsten Gerichts, keine Zeitkapsel, die auf den Untergang wartet, um dann die Welt zu retten.

          Der Sommer war auch auf Spitzbergen zu warm.
          Der Sommer war auch auf Spitzbergen zu warm. : Bild: Tirza Meyer

          Auch wenn das Saatgut in seinem Inneren ruht, der Tresor selbst pulsiert und hält am Leben, was lange vor Armageddon nicht verlorengehen darf: die biologische Vielfalt unserer Nutzpflanzen. "Aussterben beginnt, wenn Vielfalt verschwindet", sagt Fowler. Deswegen lagert nicht jeweils ein Korn oder Samen einer Nutzpflanzenart im Saatguttresor, sondern viele verschiedene Samen der jeweiligen Art.

          Das hat einen einfachen Grund. Es reicht nicht, ein Maiskorn zu lagern und dann zu behaupten, Mais sei für alle Zeiten gesichert. Denn Mais, der im fruchtbaren Kongo-Delta wächst, hat andere genetische Eigenschaften als Mais, den Bauern in der ägyptischen Wüste auf kargen Ackerböden ziehen.

          Armageddon kommt bestimmt

          Mais für die Welt kann es nur dann zuverlässig geben, wenn die Pflanze widerstandfähig ist. Deswegen sammeln Genbanken Samen, die bei unterschiedlichen Temperaturen und Bodenarten gedeihen. Sollte sich das Klima tatsächlich drastisch ändern, hätte der Saatguttresor immer noch ein Samenkorn in petto, das bei glühender Hitze oder großer Kälte wachsen und - über einige Jahre vervielfältigt - dann wieder die Menschheit ernähren könnte.

          Der Tresor muss nicht auf Armageddon warten. Er macht seinen Job längst, und er macht ihn gut, trotz Tauwasser im Eingangsbereich. Seit seiner Eröffnung 2008 wurde die Tresorkammer 232 Mal geöffnet, um neues Saatgut einzulagern. Das kommt in Kisten und Päckchen an, die Black Boxes genannt werden. Nur die Genbank, der das Saatgut gehört, weiß, was darin ist. Nur die Absendergenbank darf sich ihre versiegelte Box zurückschicken lassen.

          Eine solche Rücksendung geschah zuletzt im Jahr 2016, um die Genbank des Zentrums für landwirtschaftliche Forschung in Trockenregionen in Beirut neu aufzubauen. 2012 war der Hauptsitz in Aleppo von Rebellen besetzt und schließlich geräumt worden. Zum Glück hatte das Zentrum vorgesorgt. Mehr als hunderttausend ihrer verschiedensten Saatgutvariationen lagerten im Tresor auf Spitzbergen. Nur deswegen konnte die gesamte Sammlung gerettet werden. Ähnliche kriegsbedingte Schicksale könnten anderen Genbanken drohen.

          Die alte Kohlegrube wäre eine gefährliche Alternative als Saatgut-Tresor.
          Die alte Kohlegrube wäre eine gefährliche Alternative als Saatgut-Tresor. : Bild: Tirza Meyer

          Regionale Genbanken sind teilweise abenteuerlich. Das zeigt ein Experiment, das - nur wenige hundert Meter vom Saatguttresor entfernt - in einer stillgelegten Kohlegrube schlummert. Denn schon lange bevor Fowler und seine Leute den Saatguttresor in den Berg bohrten, stellte die Nordische Genbank einen Container mit Samenproben ans Ende eines stillgelegten Kohleschachts.

          Solche Schächte gibt es auf Spitzbergen viele. Die Berge dort sind von Kohleadern durchzogen, deren Gruben und Gänge ins Herz der Felsen führen. Die Kohlevorkommen auf der Inselgruppe sind der Grund dafür, dass dort überhaupt Menschen leben. Heute sind die Gruben aber fast alle stillgelegt.

          Der Container steht heute noch in Grube drei. Um dorthin zu gelangen, muss man einen unsicheren Tunnel hinuntersteigen. Kohlestücke liegen auf dem Boden, und man braucht ein Gerät, das den Sauerstoffgehalt in der Luft misst. Ein schlichtes Schild an einer alten Holzpforte kündigt Frøyhall an, die Saatgutkammer.

          Eine Datenbank gegen den Hunger

          Nordgen testet hin und wieder die Qualität der Samen. Das Experiment soll noch siebzig Jahre laufen. Man möchte herausfinden, wie lange sich das Saatgut in dem Container hält. Die Verhältnisse in der Grube sind einfach. Nicht einmal die Tür zur Kammer ist verriegelt, die Wände sind nackt, und nichts wurde verändert oder gar ausgebessert, bevor der Container dort abgestellt wurde. Eine billige Lösung, aber ist sie sicher?

          Nordgen lagert seine Rücklagen mittlerweile im Tresor. Aber bevor der moderne Saatguttresor gebaut wurde, überlegten Cary Fowler und seine Kollegen, den existierenden Kohleschacht auszubauen. Ein Grubenarbeiter riet ab. Brände, Einsturzgefahren und sogar Explosionen können in Kohlegruben plötzlich entstehen. Kein guter Ort für schlafende Samen.

          Die Arbeiter frästen einen neuen Schacht und hielten sich von den Kohleadern fern. Aber auch ohne das Explosionsrisiko waren die Bauarbeiten am Saatguttresor abenteuerlich. Dreimal wurde die Baustelle von neugierigen Eisbären besucht. Wer zum Tresor wandern möchte, muss sich bewaffnen. Das ist auf Spitzbergen Vorschrift.

          Die Bären und der Tresor teilen sich nicht nur die rauhen Berghänge der Insel, sie haben noch ganz andere Gemeinsamkeiten. Fowler erklärt das so: "Für Eisbären und Weizen stellt sich dieselbe Frage: Ist die Spezies in der Lage, den Klimawandel zu überstehen?"

          Jeder kennt die Bilder von verzweifelten Bären, die sich an schrumpfende Eisschollen klammern. Eine vertrocknete Maispflanze auf einem kargen Acker hat nicht denselben Knalleffekt. Aber auch Saatgutpflanzen sind im täglichen Überlebenskampf.

          Naturschutz gelingt nur, wenn wir satt sind

          Dass das Überleben der Bären mit dem Überleben der Nutzpflanzensamen zusammenhängt, daran denken wenige. "Globale Hungerkrisen sind erfahrungsgemäß schlechte Zeiten für Naturschutz", sagt Fowler. Wer Eisbären, Panda und Co. schützen will, tut also gut daran, auch Nutzpflanzen zu schützen. Dort wo Armut und Chaos herrschen, werden Eisbären im schlimmsten Fall gleich überm Feuer gebraten. Wenn die Menschen keine Not leiden, können sie sich um andere Lebewesen kümmern. Deswegen ist der Saatguttresor wichtig und auch die Genbanken, die ihn nutzen.

          Die Leute, die in den Genbanken arbeiten, die immer neues Saatgut ziehen, Tests machen, die Lager erneuern und aufstocken, die Saatgut hin- und hersenden, diese Leute nennt Fowler "echte Helden". Sie retten die Welt, lange vor Armageddon, mit Glasampullen, Muttererde und schlummernden Samen in Tiefkühlbehältern.

          Saatgut für alle

          Im Falle einer Hungerkrise haben die Länder die größte Macht, die Zugang zu Nahrungsmitteln und Saatgut haben. Jährlich veröffentlicht die Welthungerhilfe den Welthunger-Index. Der Bericht von 2018 zeigt, dass immer noch 51 Länder unter ernstem Hunger leiden. Die Zentralafrikanische Republik ist am schlimmsten dran, gefolgt von Tschad, dem Jemen, Madagaskar, Sambia, Sierra Leone und Haiti. Bis 2030 haben sich die Vereinten Nationen vorgenommen, das Hungerproblem auf der Welt zu lösen. Bis dahin muss viel getan werden. Wer einmal die Macht über das Saatgut erlangt hat, könnte damit im Zweifel die ganze Welt erpressen. Deswegen ist es wichtig, dass sich alle Länder die Aufgabe der Bewahrung der Nutzpflanzen teilen und Saatgut nicht von Einzelnen kontrolliert wird. Um zu verhindern, dass wirtschaftliche Interessen, Umweltkatastrophen und politische Konflikte zu Nahrungsmittelknappheit führen, haben die Vereinten Nationen den Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (Internationaler Saatgutvertrag) geschlossen. 143 Länder und die EU haben den Vertrag unterschrieben. Er soll sicherstellen, dass die Rechte der Bauern geachtet werden und dass Technologie und Wissen über Landesgrenzen hinweg ausgetauscht werden. Der Saatguttresor auf Spitzbergen hilft dabei, den Zugang zu Saatgut auch in einer ungewissen Zukunft zu gewährleisten. Der Inhalt in den Boxen, in denen das Saatgut zur Lagerung verschickt wird, gehört dem Absender. Der norwegische Staat kann niemals Rechte auf das Saatgut anmelden oder die Rücksendung verweigern. Die Genbanken verpflichten sich zudem, mit dem Saatgut verantwortungsvoll umzugehen und ihr Wissen mit anderen Ländern und Einrichtungen zu teilen.

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