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Motorisierung für die Äcker : Wie kommt der Traktor nach Afrika?

  • -Aktualisiert am

Ein Kontinent, der Mais braucht – und noch auf Traktoren wartet. Bild: Jana Mai

Eine Landmaschine kann für Kleinbauern alles verändern. Sie ernten mehr – jedenfalls, wenn es auch eine Tankstelle in der Nähe gibt. Afrika steht vor einer Herausforderung.

          6 Min.

          Manchmal hoffst du ein ganzes Leben, und dann überrascht dich das Schicksal, wenn du deinen Traum eigentlich schon aufgeben wolltest. Sagt Nora Himoonga, fünfundsiebzig Jahre alt, pensionierte Lehrerin, jetzt Farmerin im Dorf Dumba, Südsambia. Sie hatte sich schon damit abgefunden, ihre sechs Hektar Acker weiterhin mit bloßen Händen zu bewirtschaften. Maissamen säen, Unkraut jäten, ernten. Ein tausendfaches Bücken, wie sie das seit knapp dreißig Jahren macht. Das spürt sie im Rücken, der schmerzt. In den Armen, die zwicken. In den Beinen, die ermüden. Nur zum Pflügen bekommt sie Hilfe: Ein Ochsengespann treibt die Pflugschar über den Boden.

          Doch dann, vergangenen Sommer, kam ihr Nachbar und machte ihr ein Angebot. Er habe einen Traktor, mit dem könne er ihr Feld pflügen. Sie gingen zu seinem Hof, und da sah sie ihn neben dem Haus stehen: einen Massey Ferguson, Modell 4708, fünfundachtzig PS.

          Hoffnung auf Fortschritt

          Der rote Lack funkelte in der Sonne. Irgendwie wirkte der Traktor fehlplaziert in dieser Landschaft zwischen den trockenen Äckern und den Mangobäumen, zwischen den einfachen Lehmhäusern mit Wellblechdächern. Wer hier im Dorf Geld hat, könnte sich ein Motorrad leisten oder eine kleine Solarzelle auf dem Dach. Vielleicht einen Fernseher mit Satellitenschüssel. Einen Traktor besitzt niemand.

          Einer der weniger Traktoren im südlichen Sambia.
          Einer der weniger Traktoren im südlichen Sambia. : Bild: Christopher Piltz

          Von dem Tag an begann Nora Himoonga wieder zu träumen. Ein Traktor, auf ihrem Acker. Ein Ende der Schufterei.

          In den vergangenen Jahren haben Agrarkonzerne und Hilfsorganisationen eine Klientel entdeckt, die wichtig für sie ist und schwierig zugleich: Kleinbauern. Farmer, die meist nur wenige Hektar Ackerland bewirtschaften. Mehr als fünfhundert Millionen Menschen weltweit leben allein von der eigenen Scholle. Einige von ihnen verkaufen einen Teil der Ernte auf dem Markt. Die meisten bauen gerade genug an, um sich und ihre Familien versorgen zu können. Allein in Afrika und Asien produzieren Kleinbauern mehr als 80 Prozent der Lebensmittel.

          Ernten müssen steigen

          Doch sie sind ein schwieriges Klientel, da sie meist kaum Geld haben. Um alle Menschen in Zukunft ernähren zu können, müssen die Ernten in den kommenden drei Jahrzehnten um fast die Hälfte steigen. Landwirtschaftliche Großbetriebe können das nicht ausschließlich stemmen. Und so verschiebt sich die Aufmerksamkeit immer stärker in Richtung der Kleinbauern. Sie bilden den idealen Startpunkt im Kampf gegen globalen Hunger. Schon 2010 sagte der damalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter: „Kleinbauern müssen im Zentrum der nächsten grünen Revolution stehen.“ Seit 2012 arbeitet zudem der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen an einer Erklärung für die Rechte von Kleinbauern.

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          Doch der große Wandel blieb bislang aus. Den meisten Regierungen, gerade in Afrika, fehlt das Geld, ihre Landbevölkerung zu unterstützen. So warnte 2013 der Schweizer Soziologe Jean Ziegler: „Auf dem ganzen afrikanischen Kontinent gibt es lediglich 85000 Traktoren und 250000 Zugtiere – in Deutschland waren es 2011 knapp zwei Millionen Traktoren und mehr als zwölf Millionen Rinder.“

          Ein Traktor für das kleine Geld

          Und so können Kleinbauern bis heute nur mühsam ihre Erträge steigern. In Sambia startete dabei schon 2001 das „Farmer Input Support Program“ (FISP), eine Regierungsinitiative für Subventionen. Farmer kommen dank FISP leichter an Dünger und Saatgut, sie können sich günstiger Pestizide und Herbizide kaufen. Doch mechanisch-technische Unterstützung für die Feldarbeit sieht das Programm nicht vor. Dabei wäre diese so wichtig. Um das Drei- bis Fünffache steigt die Ernte, wenn ein Traktor anstatt eines Ochsengespanns den Boden umpflügt, sagen Agrarwissenschaftler. Manche schätzen sogar, die Ernte kann sich verzehnfachen.

          Immer mehr Hersteller von Landmaschinen entwickeln deshalb Konzepte für Kleinbauern. Das amerikanische Unternehmen Agco etwa, einer der größten Landmaschinenbauer der Welt. In einhundertvierzig Länder verkauft Agco Traktoren, Anhänger, Mähdrescher. Vor einigen Jahren entwickelte der Konzern für brasilianische Kleinbauern einen sogenannten Volkstraktor. Fünfunddreißig PS, ohne Kabine, ohne GPS, ohne Schnickschnack. Kaufpreis: etwa zehntausend Euro. Mehr als fünfzigtausend Traktoren verkaufte Agco innerhalb weniger Jahre in Brasilien. Ein Erfolgsmodell.

          Auch in Afrika versucht das Unternehmen, Kleinbauern zu überzeugen. Doch ohne Erfolg – der Traktor war für die meisten Landwirte immer noch zu teuer, Agco verkaufte nur wenige Modelle. Der Traum vom Traktor für ganz Afrika, er schien gescheitert.

          Die Sonne flimmert unerbittlich am Himmel, als George Barlow über Nora Himoongas Acker geht. Himoonga hat sich im vergangenen Sommer, als ihr Nachbar ihr das Angebot machte, entschieden, einen ihrer insgesamt sechs Hektar pflügen zu lassen. Vierhundert Kwacha zahlte sie dafür, etwa achtunddreißig Euro. Mehr konnte sie nicht ausgeben.

          Diese Familie hat einen neuen Traktor erhalten. Bisher haben sie mit Ochsen gearbeitet. Das hat alles verändert.
          Diese Familie hat einen neuen Traktor erhalten. Bisher haben sie mit Ochsen gearbeitet. Das hat alles verändert. : Bild: Christopher Piltz

          Barlow wühlt in der Erde. Die Wurzeln reichen tief. „Auf diesem Feld wächst der Mais viel besser als auf den anderen“, sagt Nora Himoonga. Wind weht durch die Halme, schulterhoch stehen sie. Auf dieser Fläche pflügte der Traktor; im Gegensatz zum Ochsengespann lockerte er nicht nur die Erde auf, sondern wälzte den Boden um. Armtiefe Rillen grub er in den Boden. Dort unten, dutzende Zentimeter unter der Oberfläche, waren die Samen vor der Dürre besser geschützt, die Erde feuchter.

          Nora Himoonga geht einige Meter weiter aufs Nachbarfeld. Die Pflanzen reichen hier gerade einmal bis zu den Fußknöcheln, einige liegen vertrocknet auf der Erde. „Und hier habe ich mit dem Ochsen gepflügt. Ich hoffe, die Pflanzen kommen durch.“

          Barlow macht sich Notizen.

          „Finden Sie vierhundert Kwacha pro Hektar angemessen?“, fragt er.

          „Es ist gerade an der Grenze“, sagt Nora Himoonga. „Mehr könnte ich nicht zahlen.“

          George Barlow ist auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was für ein Modell braucht es, damit afrikanischen Kleinbauern sich einen Traktor leisten können?

          Mitten in Sambia, zwei Stunden südlich der Hauptstadt Lusaka, im Dorf Dumba, der Heimat Nora Himoongas, lässt der Konzern Agco ein Pilotprojekt durchführen. Die Idee: Nicht mehr einzelne Bauern sollen Traktoren kaufen, sondern ein Händler im Dorf. Der soll anschließend gegen eine Gebühr die Äcker seiner Nachbarn pflügen und auch die Samen säen. Die Bauern bekommen akkurat bestellte Felder, der Händler kann den Kredit zurückzahlen, und in einer ganzen Region steigt die Ernte. So der Plan.

          Befragung der Bauern

          Sollte er aufgehen, würde sich für Agco ein Markt mit Millionen neuer Kunden öffnen.

          George Barlow, neunundvierzig Jahre alt, soll überprüfen, wie das Modell funktionieren kann. Barlow arbeitet seit dreizehn Jahren als Agrarökonom in Sambia. Ein Mann, der das Leben der Kleinbauern kennt. Zwei Jahre leitete er ein Baumwoll-Großprojekt mit mehr als zwölftausend Kleinbauern. Von den prognostizierten achttausend Tonnen fuhren sie nach der Ernte nur dreitausend Tonnen ein – dabei gab es keine Dürre, keine Plagen auf dem Feld. Die Bindung zu den Kleinbauern war schlicht nicht eng genug, das Netzwerk funktionierte nicht. Fehler, die Agco vermeiden will.

          Deshalb reist George Barlow alle paar Wochen in die zwei Bezirke, in denen die Traktoren-Pilotprojekte laufen, und befragt die Bauern.

          Bescheidener Wohlstand

          Wenige Stunden später sitzt er bei Kelvin Mweeka auf dem Hof. Mweeka ist der lokale Zwischenhändler für Agrarprodukte, er verkauft Saatgut und Düngemittel an die Bauern. Und seit dieser Saison bietet er auch an, ihre Äcker zu pflügen. Mweeka lebt mit seinen sechs Kindern und seiner Frau in einem kleinen Backsteinhaus mit Wellblechdach. Er hat fünf Ziegen und einen Taubenschlag, Hühner picken auf dem Hof, ein Motorrad steht im Schatten eines Baumes. Auf dem Boden vor dem Haus liegt eine kleine Solarzelle, an ihr laden Handys. Zeichen bescheidenen Wohlstands.

          „Bei wie vielen Bauern hast du den Acker gepflügt?“, fragt Barlow. Etwa achtzig Familien waren es, sagt Mweeka. Auf Mais- und Sojafelder fuhr er, auch zu Baumwollbauern.

          „Haben alle gezahlt?“

          Mweeka nickt.

          Er sagt, die Gebühr sei auch gar nicht das Problem. Das Problem sei der Diesel. Zweihundertfünfzig Liter verbraucht der Traktor pro Woche; wenn er einmal ausgeht, muss Mweeka auf einen Pick-up warten, der ihn und ein leeres Fass mit in die Stadt nimmt. Einen ganzen Tag sei er dafür unterwegs. „Wir brauchen eine Tankstelle in der Nähe“, sagt Mweeka. Barlow notiert.

          Schon heute weiß George Barlow: Nicht der Kauf eines Traktor ist für viele Gemeinschaften das Problem, sondern der Erhalt. Was sollen die Landwirte machen, wenn der Motor streikt, wenn ein Reifen kaputtgeht?

          Wundermaschine auf drei Rädern

          Agco versucht deshalb, die Bauern zu schulen, damit sie selbst die Maschinen reparieren können. Vor drei Jahren eröffnete das Unternehmen die „Future Farm“, einen Demonstrationsbetrieb am Rande Lusakas, hundertfünfzig Hektar. Landwirte aus Kenia, Äthiopien, Simbabwe lernen hier, wie sie einen Traktor steuern und wie ein Motor aufgebaut ist. Auch Kelvin Mweeka machte einen Workshop. Vier Tage dauerte der Kurs. Viel zu kurz, sagt er. Man bräuchte eigentlich Wochen, um die ganze Technik zu verstehen. Es sei doch auch für ihn eine Premiere: mit einem Traktor pflügen.

          Bild: Christopher Piltz

          In Uganda träumen sie ebenfalls von der technischen Revolution auf dem Feld. Ihr Hoffnungsträger: Noble Banadda. Banadda ist Professor für Landwirtschaft und Biosystemtechnik an der Makerere University in Kampala; er promovierte in Belgien und arbeitete danach am „Massachusetts Institute of Technology“ in den Vereinigten Staaten. Er gilt als einer der talentiertesten Wissenschaftler Afrikas.

          Vor zwei Jahren entwickelte Banadda ein Gefährt mit dem Namen „MV Mulimi“. Manche Leute nannten es eine Wundermaschine. Einen dreirädrigen Traktor, der nicht nur pflügen konnte, sondern auch Wasser pumpen, Handys aufladen, Ware bis zu siebenhundert Kilogramm transportieren. Eine Maschine, geschaffen für die Bedürfnisse ugandischer Kleinbauern. Er war günstiger als alles, was vorher auf dem Markt war – umgerechnet dreitausendachthundert Euro kostet Banaddas Traktor.

          „Wir brauchen schnell eine Lösung“

          Aber vor allem, darin gründet der Stolz auf dieses Gefährt, war er ein Produkt Ugandas. Alle Metallleisten, Achsen und Reifen kamen aus Uganda. Banadda wollte keinen Traktor, für den Ersatzteile aus Südafrika oder Europa eingeflogen werden müssen. Er wollte ein Fahrzeug, das ein Farmer auf dem Land sofort selbst reparieren kann.

          „Wir brauchen schnell eine Lösung“, sagt der Wissenschaftler. Immer weniger junge Leute würden auf dem Land leben wollen. Sie ziehen in die Städte, studieren in Nachbarländern. Farmer wollen nur wenige werden. Dabei wächst die Bevölkerung Ugandas rasant: Über vierundvierzig Millionen Menschen leben in dem ostafrikanischen Land – im Jahr 2000 waren es noch vierundzwanzig Millionen.

          „Um sie alle zu ernähren, müssen wir Landwirtschaft wieder attraktiv machen“, sagt Banadda. Bislang hat er erst drei Fahrzeuge des Modells „MV Mulimi“ gebaut. Er sucht noch einen Investor. Wenn das Fahrzeug einmal in Serie ginge, würde der Preis weiter sinken. Zweitausend Dollar seien möglich, vielleicht sogar weniger, schätzt Banadda. Eine Summe, die Kleinbauern wieder träumen lässt. Vom eigenen Traktor.

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