Erdogan-Wähler in Deutschland : Deutschland, Feindesland?
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Erdogan-Anhänger feiern dessen Wahlsieg am Sonntagabend in Hamburg. Bild: dpa
Die Siegesfeiern von Erdogan-Wählern in Deutschland haben viele Politiker alarmiert. Sie sehen ein Demokratiedefizit bei vielen Einwanderern. Manche schlagen eine Doppelstrategie vor.
Am Mannheimer Wasserturm brannten jugendliche Erdogan-Fans am Sonntagabend ein bengalisches Feuer ab. Junge Männer schauten durch die Schiebedächer ihrer Mercedes-Limousinen, mit der rechten Hand machten sie den nationalistischen Wolfsgruß, mit der linken das AKP-Zeichen. Sie feierten den Sieg des türkischen Staatspräsidenten mit einem Autokorso. In Essen, Köln, Stuttgart zogen sie mit Erdogan-T-Shirts und türkischen Fahnen durch die Innenstädte, viele waren schon jubelnd auf der Straße, als das Wahlergebnis noch nicht einmal feststand.
660.000 Wähler waren in den Konsulaten erschienen, etwa 50 Prozent der türkischen Wahlberechtigten, die in Deutschland leben, stimmten nicht ab. In Baden-Württemberg beteiligten sich 240.000 an der Präsidenten- und Parlamentswahl, im Stuttgarter Konsulat stimmten 68,8 Prozent für Erdogan, in Karlsruhe 63,5 Prozent. Muharrem Ince von der Linksliberalen Partei CHP bekam im Südwesten nur 20 Prozent.
Özdemir warnt vor Parallelgesellschaften
Dass die Deutschtürken treu zu Erdogan stehen, zeigte sich schon bei der Abstimmung zum türkischen Verfassungsreferendum und bei früheren Wahlen deutlich. Das jetzige Wahlergebnis und die Jubelfeiern der Erdogan-Anhänger alarmieren aber zahlreiche deutsche Politiker. Der grüne Bundestagsabgeordnete und ehemalige Parteivorsitzende Cem Özdemir warnt sogar vor „Parallelgesellschaften“.
„Es gibt Leute, die hier leben, aber davon überzeugt sind, dass sie sich im Feindesland befinden“, sagte Özdemir der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das seien Anhänger der AKP, der ultranationalistischen MHP, darunter seien aber auch Unterstützer von Putin oder Wähler der AfD. Ändern lasse sich das bei den AKP-Anhängern nur mit einer Doppelstrategie, meint Özdemir, nämlich dem Bestehen auf Regeln und besseren Integrationsangeboten für Kinder aus sozial benachteiligten Einwandererfamilien. Das klare Votum der Deutschtürken für Erdogan sei bedauerlich, aber türkischstämmige Einwanderer mit deutschem Pass hätten nicht gewählt.
„Erdogan so zu bejubeln ist nicht hinnehmbar“
Die türkischstämmige Gemeinderätin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Mannheimer Gemeinderat, Melis Sekmen, verurteilt die Siegesfeiern für Erdogan ebenso. Der Autokorso in der drittgrößten Stadt Baden-Württembergs ist nämlich auch ein Verstoß gegen die „Mannheimer Erklärung“, mit der Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) und der Gemeinderat eigentlich verhindern wollen, dass politische Konflikte aus dem Ausland in die Stadtgesellschaft getragen werden. „Wir akzeptieren das Wahlergebnis. Aber Erdogan so zu bejubeln ist nicht hinnehmbar. Wir müssen öffentlich deutlich machen, dass es eine Stellungnahme gegen unser Grundgesetz ist, wenn Erdogan bei uns hier so bejubelt wird.“
Wenn sich die AfD antidemokratisch äußere, sich etwa für Putin ausspreche, müsse das genauso kritisiert werden. Bei den Bürgen, die in Mannheim für Erdogan demonstriert hätten, habe es sich größtenteils um junge Menschen gehandelt, die gut integriert und in Deutschland groß geworden seien. „In Kanada oder in Australien“, so die grüne Politikerin, „schneidet Erdogan bei den dort lebenden türkischstämmigen Einwanderern schlechter ab.“
Bei einigen Deutschtürken lasse sich die Sympathie für Erdogan mit dem niedrigen Bildungsgrad erklären, bei vielen sei das aber nicht der Grund. „Die Vertreter der türkischen Vereine müssen ein klares Signal setzen, gleichzeitig sollte natürlich weiter über Integrationsmaßnahmen und die Benachteiligung von Bürgern mit Migrationshintergrund diskutiert wereen“, sagte Melis Sekmen.
Kritik am antidemokratischen Verhalten der Erdogan-Anhänger in deutschen Großstädten äußerte auch Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde. Es sei falsch, die Erdogan-Anhänger pauschal als Integrationsverweigerer zu bezeichnen, es sei jedoch offenkundig, dass viele türkischstämmigen Einwanderern das Demokratieprinzip nicht ausreichend verinnerlicht hätten: „Diese Leute wissen oft nicht, was Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Organisationsfreiheit bedeuten. Besonders bei Migranten muss über die Unterschiede zwischen Demokratie und Autokratie gesprochen werden.“ Er sehe bei Teilen der AfD sowie bei einigen islamistischen Gruppierungen erhebliche Demokratiedefizite. Viele würden die Meinungsvielfalt nicht akzeptieren und jeden, der sich kritisch über Erdogan äußere, als „Vaterlandsverräter“ abstempeln.
In Deutschland, so Sofuoglu, habe man sich zu stark mit Erdogan beschäftigt, das habe die Erdogan-Anhänger noch stärker gemacht. Unter den Wählern, die am Sonntag an der türkischen Parlamentswahl teilgenommen hätten, seien viele Erstwähler gewesen, die im Jahr 2000 in Deutschland geboren seien und nun, weil sie die Doppelstaatsbürgerschaft oder die türkische Staatsbürgerschaft besäßen, zum ersten Mal gewählt hätten. „Man sollte sich genau anschauen, wie diese Gruppe gewählt hat, um daraus Rückschlüsse für den Demokratieunterricht zu ziehen.“
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält es für unpassend, bei der Analyse des Abstimmungsverhaltens der Deutschtürken von „Parallelgesellschaften“ zu reden, er regte aber an, das Wahlverhalten von Einwanderern zu untersuchen. „Bevor man sich echauffiert, sollte man die Instrumente der empirischen Sozialforschung nutzen.“