Wahlhilfe : Alexa, wen soll ich wählen?
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Wahlhilfe? Amazons Alexa Bild: Helmut Fricke
Algorithmen kennen unsere Vorlieben besser als wir selbst. Da wäre es doch nur konsequent, wenn sie auch unsere Wahlentscheidungen treffen.
Nach der Wahl hieß es bei den Volksparteien ebenso staatstragend wie pflichtschuldig, es gelte jetzt, den „Wählerwillen“ umzusetzen. Was aber ist der Wählerwille? Was ist der „rationale“ Wähler, der zu den Standardmodellen der politischen Ökonomie gehört, in der Praxis aber wie ein Dummy erscheint?
So mancher Sozialdemokrat staunte nicht schlecht, als ihm der Wahl-O-Mat beim Abklopfen der 38 Thesen nicht das erwartete Ergebnis SPD, sondern die ödp und die Piraten ausspuckte. Ähnlich ging es CDU-Leuten, wenn die AfD herauskam. Der automatisierte Abgleich von Parteiprogrammen bildet einen recht genauen Näherungswert für die Parteipräferenz. Doch wohl kaum schwenkt der Sozi um und wählt statt der SPD die Piraten. Obwohl das seinen Positionen womöglich viel eher entspräche. Das Beispiel zeigt, wie wahrgenommene und tatsächliche Vorlieben auseinanderfallen können. Doch wenn der Wähler, der eigentlich die Piraten wählen müsste, glaubt, er wäre ein Sozialdemokrat, sein Kreuz dann zwar folgerichtig, aber systemwidrig bei der SPD macht – läuft dann nicht etwas schief in der Demokratie? Ist das Ideal der deliberativen Demokratie nicht, dass derjenige gewählt wird, der mit seinen Positionen die Wähler überzeugt?
Es wäre interessant, die Ergebnisse des Wahl-O-Mats, den Bürger im Bundestagswahlkampf mehr als 13 Millionen Mal befragten, mit den tatsächlichen Wahlergebnissen zu vergleichen. Das Sample dürfte einigermaßen repräsentativ sein. Gewiss, zur Demokratie gehört auch die Freiheit, das zu wählen, wofür man eigentlich nicht ist, also irrational zu sein. Überzeugte Nazis, die sich nach außen hin als bürgerlich geben, dürfen auch die SPD wählen und Gewerkschafter die NPD. Das mag der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht schmecken, folgt aber demokratischen Spielregeln. Aber wäre es nicht wünschenswert und auch im Sinne des Repräsentationsgedankens, vielleicht sogar systemstabilisierend, wenn Wähler rational handeln, also für die Partei stimmen, die ihren Präferenzen am ehesten entspricht? Könnte man dem Wähler dafür nicht eine maschinelle Hilfe zur Seite stellen, die ihm sagt, was er wirklich denkt?
Der Datenwissenschaftler Seth Stephens-Davidowitz schreibt in seinem Buch „Everybody Lies: Big Data, New Data, and What the Internet Can Tell Us About Who We Really Are“, dass Google alles über seine Nutzer weiß, ihre Sexualpraktiken, Konsumgewohnheiten, politischen Vorlieben kennt. Auch Netzwerklautsprecher wie Amazon Echo oder Google Home, die laufend mithören und unsere Küchengespräche analysieren, könnten daraus ableiten, wo jemand politisch steht. Algorithmen kennen uns womöglich besser als wir selbst. Wäre es da nicht konsequent, die besser informierten virtuellen Assistenten für uns wählen zu lassen? Oder zumindest eine Wahlempfehlung zu unterbreiten?
Wahlanalyse : Was in Deutschland passiert ist
Mit dem Algorithmus zum Wählerprofil
Aaron Siegel, Spezialist für datenbasiertes Informationsdesign und Dozent an der University of Southern California in Los Angeles, wollte mit der Initiative „Watson 2016“ IBMs Superrechner Watson als Kandidat für die amerikanische Präsidentenwahl nominieren. Er hat außerdem die Idee einer computerisierten Psychoanalyse entwickelt, mit der man Gedanken, Wünsche und Absichten von jedem beliebigen Individuum modellieren könnte: Mit Hilfe eines maschinell lernenden Algorithmus ließe sich ein politisches Profil für jeden Wähler erstellen.
Die Überlegung könnte man zu einem Gedankenexperiment verdichten: Ein nebliger Septembermorgen 2021, Wahltag, Jens Spahn bewirbt sich als CDU-Kanzlerkandidat für die Nachfolge von Angela Merkel. Der Wähler tendiert zur CDU, ist sich aber nicht hundertprozentig sicher. Also fragt er den smarten Lautsprecher: „Alexa, wen soll ich wählen?“ Darauf antwortet die digitale Assistentin: „Eine Analyse deiner Sprachbefehle und Suchanfragen zeigt mir, dass eine 79-prozentige Übereinstimmung mit dem Parteiprogramm der SPD besteht.“