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Debatte um Statuen : Über die da oben darf gestritten werden

Polizisten bewachen die Churchill-Statue auf dem Parliament Square in London. Bild: Polaris/laif

Statuen sind Symbole. Sie wirken in eine Gesellschaft und ihre Politik hinein. Über sie zu streiten, ist nicht geschichtsvergessen, sondern gegenwartsbewusst.

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          Statuen sind Symbole. Anders als alte Fotos zeigen sie nicht bloß längst tote Menschen, sondern auch die Bedeutung, die diese noch heute für uns haben. Jede Statue eines einstigen Politikers, eines Philosophen, eines Kriegsherren sagt: Schau auf zu diesem Menschen. Sonst stünde er ja nicht mehr da oben, mitten in der Stadt, täglich grüßend wie das Murmeltier. Weil die Zahl der derart herausgehobenen Menschen extrem gering ist, darf man extrem hohe Ansprüche an die Auswahl haben.

          Nun ist eine Debatte über diese Auswahl entbrannt. Aktivisten in Amerika, aber auch in Europa wollen Statuen abräumen. Das schlechteste Argument dagegen ist die Behauptung, es gebe Wichtigeres. Selbstverständlich gibt es Wichtigeres, aber vor allem Unwichtigeres. Das zweitschlechteste Argument lautet, Symbolpolitik ersetze keine Politik. Wer etwas gegen Rassisten habe, müsse sie da bekämpfen, wo sie heute ihr Unwesen trieben, statt sich Bronzebilder von vor zweihundert Jahren vorzuknöpfen. Doch das eine schließt das andere nicht aus. Symbole wirken in eine Gesellschaft und ihre Politik hinein. Wenn das anders wäre, müsste niemand ein Wort verlieren über Kopftücher, und Kniefälle von Kanzlern wären längst vergessen. Ledige Frauen würden noch Fräuleins genannt.

          Es ist also gut, dass über Statuen diskutiert wird. Stellt sich die Frage: Um welche geht es, und warum gerade um die? Allen gemeinsam ist, dass sie Männer zeigen, die nach Ansicht ihrer heutigen Kritiker einst Rassisten waren. Die Methode, mit der die Kritiker zu diesem Ergebnis kommen, ist allerdings in vielen Fällen so hilfreich wie ein Nudelsieb beim Versuch, Äpfel von Birnen zu trennen.

          So sehen manche Aktivisten in Winston Churchill vor allem einen Rassisten. Tatsächlich äußerte der sich abwertend über Menschen, die anders aussahen, etwa Inder und Chinesen. Ghandi beschrieb er 1931 als „aufrührerischen Fakir“, der „halb nackt“ herumlaufe; und noch 1955 hielt er „Keep Britain White“ für einen guten Wahlkampfslogan. Das sagt allerdings nicht nur etwas über Churchill, sondern auch über seine Zeit. Im selben Jahr wurde in England zum letzten Mal eine Frau hingerichtet; Tod durch den Strang.

          Churchill ging es zeit seines Lebens nicht darum, andere Völker zu vernichten. Vielmehr hatte er entscheidenden Anteil daran, dass Europa vom Faschismus befreit wurde. Eine Jahrhunderttat, die mehr sagt als so manches falsche Wort.

          Auch der Philosoph Kant steht auf eine Weise in der Kritik, die voraufklärerisch wirkt. Es ist in Mode, ihn zum Rassisten zu stempeln und seine Verbannung zu fordern, gelegentlich sogar, wie auch im Falle von Churchill, gewaltsam zu befördern. Statuen werden beschmiert und zerstört. Schon zuvor forderten Studenten immer wieder, an Hochschulen Kants Texte zu ignorieren. Schlagzeilen machte vor ein paar Jahren der Fall eines Erziehungswissenschaftlers an der Humboldt-Universität, der seine Studenten einen Text von Kant zur Pädagogik lesen ließ und dafür eine Beschwerde bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kassierte, außerdem eine Kampagne gegen sich. Er sei Rassist. Derlei Verleumdungen sind gefährlich.

          Und trotzdem: Es ist gut, dass über Statuen diskutiert wird. Sie sind nicht vom Himmel gefallen, sondern dienten einst einem Zweck. Sollen sie dem heute noch dienen? Im Fall von Kant und Churchill: ja. Was sie leisteten, wird bewundert wie eh und je. Anders ist es im Falle amerikanischer Führer wie dem Südstaaten-Präsidenten Jefferson Davis und dem Konföderierten-General Robert E. Lee. Sie von der Straße ins Museum zu stellen ist nicht geschichtsvergessen, sondern gegenwartsbewusst.

          Friederike Haupt
          Politische Korrespondentin in Berlin.

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