Wahlchaos in Afghanistan : Amerika droht mit Ende der Finanz- und Militärhilfe
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Außenminister John Kerry Bild: AP
In Afghanistan steht viel auf dem Spiel. Die Vereinigten Staaten sind besorgt, dass sich nach der Präsidentenwahl eine Parallelregierung bilden könnte. Außenminister Kerry droht mit dem Entzug internationaler Unterstützung.
Die Entwicklung nach der Präsidentenwahl in Afghanistan beunruhigt Amerika. Außenminister John Kerry warnte am Dienstag vor einer illegalen Machtübernahme. Er habe „Andeutungen über eine Parallelregierung“ dort „mit größter Sorge zur Kenntnis genommen“, sagte Kerry. Jeder Versuch einer unrechtmäßigen Machtübernahme werde dazu führen, dass Afghanistan die finanzielle und militärische Unterstützung der Vereinigten Staaten und der internationalen Gemeinschaft verliere.
Wie hektisch in Kabul hinter den Kulissen um eine Lösung der afghanischen Wahlkrise gerungen wird, ließ sich am Montag daran ablesen, dass die Wahlkommission die ohnehin seit Tagen überfällige Verkündung des vorläufigen Endergebnisses über Stunden immer wieder verschob - bis sie schließlich am Abend verkündete: Der frühere Finanzminister Ashraf Ghani liege mit 56 Prozent der Stimmen vorn. Sein Gegner, der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah, habe nach vorläufiger Auszählung knapp 44 Prozent der Stimmen erhalten. Dass trotz dieses uneinholbar scheinenden Vorsprungs drei Wochen nach der Präsidentenwahl vom 14. Juni noch immer kein Sieger feststeht, schob der Vorsitzende der Kommission, Ahmad Yusuf Nuristani, dann aber gleich hinterher: Das Ergebnis könne sich nach weiteren Überprüfungen von Betrugsvorwürfen noch ändern. Die Anhänger beider Lager sollten sich in Geduld üben, mahnte Nuristani.
Viel steht auf dem Spiel
Genau das hatte Abdullah allerdings nicht getan und schon am Vorabend verkündet, das Ergebnis nicht anzuerkennen, solange fragwürdige Stimmzettel nicht aussortiert würden. Einige prominente Vertreter des Abdullah-Lagers hatten in den vergangenen Tagen sogar mit einer Parallelregierung gedroht und damit deutlich gemacht, was bei dem Streit über das Wahlergebnis auf dem Spiel steht. Ungläubig reagierte das Abdullah-Lager zumal auf die Darstellung der Wahlkommission, an der Stichwahl hätten sich mehr als acht Millionen Wähler beteiligt. Schon die bisher geschätzte Zahl der Kommission von sieben Millionen Stimmen war nicht nur von Abdullah, sondern auch von unabhängigen Beobachtern bezweifelt worden.
Die amerikanische Regierung machte den auch am Montagabend keinen Hehl daraus, dass sie das Ergebnis für wenig glaubwürdig hält. Die Zahlen seien „nicht endgültig und nicht belastbar“, sagte Sprecherin Jen Psaki in Washington und mahnte: „Keiner der Kandidaten sollte auf der Basis dieser Veröffentlichung einen Sieg reklamieren.“ Auch Nuristani hatte den Zahlen die Einschätzung vorausgeschickt: Regierungsmitarbeiter und lokale Polizeichefs hätten sich an der Manipulation von Wahlurnen beteiligt.
Hektische Verhandlungen
Vor der Verkündung hatte es noch einmal hektische Verhandlungen hinter den Kulissen gegeben. Die Korrespondentin der „Washington Post“ berichtete über den Kurznachrichtendienst Twitter unter Berufung auf einen Diplomaten, „von höchster Regierungsebene“ sei die Anordnung gekommen, die Verkündung zu verschieben. Die amerikanische Botschaft in Kabul sah sich gezwungen, Berichte zu dementieren, wonach sich der amerikanische Botschafter im Hauptquartier der Wahlkommission aufhalte. Der Leiter der Afghanistan-Mission der Vereinten Nationen, Ján Kubis, wurde angeblich ebenfalls gesichtet.
So oder so wird auch das vorläufige Endergebnis - dem kurzerhand die Vorsilbe „End“ gestrichen wurde - noch nicht das Ende der Wahlsaga sein. Denn Abdullah, der als klarer Favorit in die Stichwahl gegangen war, nachdem er im ersten Wahlgang 900.000 Stimmen vor Ghani lag, hat den Sieg schon für sich reklamiert. „Wir sind stolz darauf zu behaupten, dass wir die Mehrheit der sauberen Stimmen in Afghanistan haben“, sagte er am Sonntag.
Dass es massiven Wahlbetrug gab, daran zweifelt inzwischen niemand mehr. Wie sich aber saubere von „schmutzigen“ Stimmen trennen lassen, ist die Frage, um die hinter den Kulissen gerungen wurde. Zuletzt hatte die Wahlkommission sie damit beantwortet, dass sie die Stimmen all jener Wahllokale noch einmal auszählen ließ, in denen 600 oder 599 Stimmen gezählt worden waren - da jedes Lokal genau 600 Stimmzettel erhalten hatte (Nachlieferung war möglich), galten diese Zahlen als möglicher Hinweis darauf, das die Urnen dort mit vorgefertigten Zetteln gefüllt worden waren.
Die Lager der beiden Kandidaten rangen am Montag über Stunden um die Modalitäten für eine viel weitergehende Überprüfung der Stimmzettel. In Kabul hieß es, Abdullah und Ghani hätten sich darauf verständigt, die Stimmen aus 7000 Wahllokalen neu auszählen zu lassen, darunter solche, in denen einer der Kandidaten mehr als 93 Prozent der Stimmen erhalten habe. Laut amerikanischem Außenministerium würde dies drei Millionen Stimmen betreffen. Zuvor hatten sich bereits die UN und die Wahlbeobachtermission der EU für eine weitergehende Überprüfung ausgesprochen.
Am Ende könnte aber weniger die Wahlarithmetik entscheidend sein als eine politische Lösung. Das bringt einmal mehr den scheidenden Präsidenten Hamid Karzai ins Spiel, dem Kritiker vorhalten, er habe genau auf eine solche Lage spekuliert, um seinen Einfluss zu festigen.