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Sachsen-Anhalt : Zehn Gründe, warum die AfD durch die Decke schießt

AFD-Demonstration in Magdeburg im Januar Bild: dpa

Die AfD steht in Sachsen-Anhalt in Umfragen bei 17 Prozent, die Landtagswahl wird eine Protestwahl sondergleichen. Was sind die Gründe für den Protest?

          6 Min.

          1. Unzufriedenheit

          Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 13. März wird eine klassische Protestwahl: Nach den Umfragen kann die Alternative für Deutschland mit ihrem bisher besten Ergebnis rechnen - und das, obwohl die Partei in dem Bundesland so extremistisch auftritt wie sonst nur in Thüringen. Der Wunsch nach einem Wechsel hingegen ist nach demoskopischen Untersuchungen kaum ausgeprägt. Die meisten Wahlberechtigten sind mit Ministerpräsident Reiner Haseloff von der CDU zufrieden und wünschen sich die Fortsetzung von Schwarz-Rot.

          Reinhard Bingener
          Politischer Korrespondent für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen mit Sitz in Hannover.

          Wer durch das Land fährt, beobachtet gleichwohl eine Unzufriedenheit, die zur Lebenshaltung geworden ist. Wenn die Aufnahmegeräte ausgeschaltet sind, beklagen sich Landespolitiker, dass der Wähler in Sachsen-Anhalt ziemlich oft ein verdrießlich schauendes, schnoddriges, mürrisch-mauliges Wesen ist. Im „Glücksatlas“ belegt Sachsen-Anhalt in der Tat regelmäßig einen der hintersten Plätze. Politisch zeigt sich die Unzufriedenheit in einer Form, gegen die wohl jede Regierung der Welt machtlos wäre: Die Bürger richten jede Menge Erwartungen an die Politik und reagieren auf die leicht vorhersehbaren Enttäuschungen der Erwartungen verbittert.

          In einem Interviewband mit Monika Zimmermann, der einstigen DDR-Korrespondentin der F.A.Z., umriss der ehemalige Ministerpräsident Wolfgang Böhmer die Gründe dafür: „Dass wir einen hohen Bevölkerungsanteil haben, der sich daran gewöhnt hat, subventioniert zu werden. Dass wir eine hohe Zahl von Schulabbrechern haben. Dass wir eine hohe Zahl an Übergewichtigen haben. Dass wir eine hohe Zahl von Leuten haben, die keinen Sport treiben. Auch wenn man nicht alles auf einen Nenner bringen kann, muss man feststellen, dass offenbar unter uns die Eigenverantwortung deutlich geschrumpft ist.“

          2. Zu wenig politische Bildung

          Gespräche mit Bürgern vor der Wahl offenbaren politische Unbildung und das Fehlen passender Maßstäbe. Den meisten Wählern ist nicht einmal bewusst, dass der Einfluss eines Bundeslandes auf die Asylpolitik äußerst gering ist. Bis zu der Frage, ob es klug ist, die Landespolitik für Entscheidungen der Bundeskanzlerin in Mithaftung zu nehmen, stoßen sie deshalb noch nicht einmal vor. Auch scheint vielen herzlich egal zu sein, dass es Sachsen-Anhalt besser gelingt als anderen Ländern, Flüchtlinge unterzubringen.

          Hinzu kommt, dass das bürgerliche Milieu der AfD mehr oder minder alles durchgehen lässt, obwohl die Partei in Sachsen-Anhalt zwei Gesichter hat. Ein bürgerlich-gemäßigtes Gesicht setzt die AfD auf, wenn sie angegriffen wird und sich auf Podien präsentiert. Das radikale Gesicht zeigt die Partei auf Facebook und bei Kundgebungen nach dem Vorbild von Pegida; bei diesen „Spaziergängen“ sind schon Journalisten verletzt worden.

          Überhaupt pflegt die AfD einen anderen Umgang mit der Öffentlichkeit als andere Parteien: Sie hat eine Pressesprecherin, die zwar eifrig Mitteilungen des Spitzenkandidaten versendet, etwa zum Wert der „Volksgemeinschaft“, aber ihre Telefonnummer nicht herausgibt. Der Landesvorstand hat beschlossen, dass auf der Pressekonferenz der Partei jeder Journalist nur eine Frage stellen darf.

          Umfrage in Sachsen-Anhalt : AfD überholt die SPD

          Die Anhänger scheinen sich auch nicht daran zu stören, dass gegen den Spitzenkandidaten André Poggenburg schon mehrfach Haftbefehl wegen nicht bezahlter Rechnungen ausgestellt wurde. Oder daran, dass ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung nur gegen Geldauflage eingestellt wurde. Im Wahlkampf warnt Poggenburg vor einem „großangelegten Wahlbetrug“ bei der Stimmenauszählung. Selbst mit haltlosen Verschwörungstheorien haben breite Wählerschichten offenbar kein Problem. Wenn sie diese nicht sogar teilen.

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