CDU in Sachsen-Anhalt : Kampf gegen die Protestwahl
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Viel falsch gemacht haben Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, und seine Regierung nicht. Doch wegen der Flüchtlingskrise werden die Wähler die CDU bei der Landtagswahl am Sonntag abstrafen. Bild: Andreas Pein
Die Bilanz von Reiner Haseloff (CDU) in Sachsen-Anhalt liest sich ganz passabel – doch die Wähler interessiert das nicht. Stattdessen steht der Protest im Fokus der Wahl. Leisten kann sich das Bundesland den eigentlich nicht. Ein Kommentar.
Das Epizentrum der Flüchtlingskrise in Europa liegt nicht auf den griechischen Inseln oder bei den Grenzübergängen des Balkans, sondern zwischen Zeitz und Salzwedel. Auf diesen Gedanken könnte zumindest kommen, wer den Wahlkampf in Sachsen-Anhalt verfolgt. Auf keine der drei Landtagswahlen schlägt das flüchtlingspolitische Chaos in der EU wohl so vehement durch wie auf die im dem ostdeutschen Bundesland. Die AfD erreicht hier in der jüngsten Umfrage einen Rekordwert von 19 Prozent.
Ministerpräsident Reiner Haseloff hilft es kaum, dass er als erster Ministerpräsident der CDU das Wort von der Obergrenze im Mund geführt hat und seit Wochen nationale Grenzkontrollen fordert. Er wird nichtsdestotrotz für Rhetorik und Politik von Kanzlerin Angela Merkel in Mithaftung genommen.
Haseloff wird deshalb froh sein müssen, wenn der Sinkflug seines Landesverbandes in den Umfragen am 13. März oberhalb der Marke von dreißig Prozent endet. Sein Koalitionspartner, die SPD, bewegt sich längst in anderen Dimensionen: Den Sozialdemokraten droht am Wahltag die Herabstufung zur viertstärksten Kraft. Die Schwächung der etablierten Parteien ist so weit vorangeschritten, dass in den Magdeburger Gedankenspielen nicht einmal mehr eine Zusammenarbeit von Union und Linkspartei ausgeschlossen wird.
Schon in der Vergangenheit hat sich Sachsen-Anhalt als ein Bundesland erwiesen, in dem die politischen Verhältnisse stärker als andernorts von bundespolitischen Stimmungen geprägt sind. Mit einem frechen Kreuzchen an empfindlicher Stelle basteln etliche Wähler aus ihrem Wahlzettel regelmäßig einen Denkzettel. Dabei hätte es das Land nötig, dass seine Bürger die Landtagswahl in ihrem Eigenwert als Entscheidung über die künftige Landespolitik wahrnehmen und nicht als Ventil für den eigenen Verdruss missbrauchen.
Denn Sachsen-Anhalt kann sich den Preis einer Protestwahl noch weniger leisten als wohlhabendere Bundesländer. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung wandelt dieses arme Land mit seiner reichen Geschichte nach wie vor auf einem schmalen Grat. Die Entscheidung, ob Sachsen-Anhalt infolge von Strukturschwäche und Abwanderung zum Armenhaus im Herzen Deutschlands herabsinkt oder sich dauerhaft in die Wertschöpfungsketten Mitteleuropas einklinkt, ist noch nicht gefallen.
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Politik kann sich eigentlich sehen lassen
In der gegenwärtigen Aufregung über die Asylpolitik dringen die Parteien im Wahlkampf mit landespolitischen Themen jedoch kaum mehr durch. Das ist umso bedauerlicher, als sich die Bilanz der Politik in Sachsen-Anhalt durchaus sehen lassen kann. Die CDU hat, zunächst mit der FDP, die vergangenen zehn Jahre dann gemeinsam mit der SPD, den einst desaströsen Haushalt des Landes von Grund auf saniert und sogar den Einstieg in die Tilgung geschafft. Dafür war ein rigider Sparkurs erforderlich, bei dem insbesondere der sozialdemokratische Finanzminister Jens Bullerjahn langen Atem bewiesen hat.
Finanziell auf eigenen Beinen steht das Land zwar längst noch nicht, und auch das Wirtschaftswachstum ließ zuletzt zu wünschen übrig. Aber trotz widriger Startbedingungen hat sich Sachsen-Anhalt im Unterschied zu einem Bundesland wie Bremen nicht in der Abhängigkeit eingerichtet. Im Land ist ein politischer Wille erkennbar, die Dinge möglichst aus eigener Kraft zu regeln.
Flüchtlinge das kleinere Problem
Die härtesten Einschnitte hat Sachsen-Anhalt auf diesem Weg bereits hinter sich gebracht. In den kommenden fünf Jahren hätte Sachsen-Anhalt so die Möglichkeit, seinen Blick nach vorne zu richten. Schlimm wäre es, wenn der Konsolidierungskurs rückgängig gemacht würde und die frei werdenden Mittel nicht in zukunftsweisende Investitionen, sondern in neue staatliche Fettpölsterchen flössen. Denn Sachsen-Anhalt wird keines seiner Probleme lösen, wenn nicht mehr höherwertige Arbeitsplätze geschaffen werden. Gutbezahlte Jobs in Industrie und Mittelstand sind langfristig der einzige Schlüssel, um dem Wegzug von Fachkräften zu begegnen und die zahlreichen kleineren Städte im Land zu entwickeln.
Angesichts dieser Herausforderung ist die derzeit allgegenwärtige Flüchtlingsfrage die deutlich kleinere Aufgabe. Infolge von Leerstand und billigen Mieten hat Sachsen-Anhalt deutlich weniger Schwierigkeiten mit der Unterbringung von Asylbewerbern als andere Bundesländer. So berechtigt die Kritik vieler Bürger an der Asylpolitik der Bundesregierung auch sein mag - die Landespolitik ist dafür der falsche Adressat.
Sachsen-Anhalt braucht kulturellen Anschluss
Und die Wähler in Sachsen-Anhalt wären vermutlich gut beraten, am 13. März nicht das Signal auszusenden, dass sie sich, nachdem sich der DDR-Mief allmählich verflüchtigt hat, nun daranmachen, eine ostdeutsch-nationale Regionalmentalität zu entwickeln.
Im Oktober 2017 steht mit dem Reformationsjubiläum in Wittenberg ein Ereignis von internationalem Rang an. Wenige Wochen später soll die alte Universitätsstadt Halle an der Saale ein Haltepunkt an der neuen Schnellstrecke München-Berlin werden. 2019 werden in Dessau 100 Jahre Bauhaus gefeiert. Schon der Blick auf den Kalender zeigt also, warum Sachsen-Anhalt nicht Abkapselung benötigt, sondern kulturellen Anschluss.