AfD-Effekt : Warum die Wahlbeteiligung in Deutschland wieder sinkt
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15. Mai 2022, Essen: Stimmabgabe zur Landtagswahl in einem Wahllokal Bild: Lucas Bäuml
Seit zwei Jahren gehen immer weniger Deutsche zur Wahl. Der Trend geht mit einer Entwicklung der AfD-Ergebnisse einher.
An einem sonnigen Sonntag zog es in Nordrhein-Westfalen 44,5 Prozent der Wahlberechtigten vor, der Abstimmung fernzubleiben. Und das, obwohl von dem bevölkerungsreichsten Bundesland ein wichtiges Signal nach Berlin ausgeht, obwohl die Pandemie die Bedeutung der Landespolitik vor Augen geführt hat und obwohl in den vergangenen Wochen von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Volksparteien CDU und SPD sowie den Spitzenkandidaten Hendrik Wüst und Thomas Kutschaty die Rede war. Es ist die niedrigste Wahlbeteiligung in Nordrhein-Westfalen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Steht das Land stellvertretend für einen Trend in ganz Deutschland?
Seit Mitte der 2010er Jahre stieg die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen von Nord bis Süd und West bis Ost, nachdem sie jahrzehntelang im Schnitt gefallen war. Das ging eindeutig mit dem Aufstieg der AfD einher. Die Partei profitierte stark von dem Migrationsthema und dem Unmut einiger Bürger über die hohe Zahl aufgenommener Flüchtlinge. Zwischen Anfang 2016 und Anfang 2020 wurden in der Bundesrepublik 16 Landtage gewählt. 15 Mal stieg die Wahlbeteiligung, nur einmal sank sie, und zwar in Hessen. Dort war die Mobilisierung bei der vorherigen Wahl allerdings verhältnismäßig leicht gefallen, weil diese mit einer Bundestagswahl zusammengefallen war.
Seit zwei Jahren sinkt die Wahlbeteiligung tendenziell wieder, im Grunde seit Beginn der Pandemie. Nordrhein-Westfalen war die achte Landtagswahl seither, sechs Mal sank die Wahlbeteiligung, nur zwei Mal stieg sie, wohl aber nur, weil in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin am gleichen Tag auch der Bundestag gewählt wurde. Abgesehen davon war die Wahl in Hamburg im Februar 2020 (als Corona hierzulande noch kaum eine Rolle spielte) die letzte Abstimmung, bei der die Wahlbeteiligung zunahm. Nicht nur in dieser Hinsicht war die Wahl ein Wendepunkt, es war auch die erste jemals, bei der die AfD Verluste hinnehmen musste. Seither ist die Partei im Sinkflug, im Bund wie in den Bundesländern.
Auch die SPD konnte nicht mobilisieren
Wahlforscher Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin sagt: „Der AfD ist es zwischenzeitlich sehr erfolgreich gelungen, Unzufriedenheit anstelle von Nichtwahl zu Stimmen für die AfD zu machen. ‚Nichtwahl und Protestwahl – zwei Seiten einer Medaille’, auf die Formel hat das ein Kollege mal gebracht. Allerdings gelingt das der AfD bei weitem nicht mehr so gut wie noch vor einigen Jahren.“ Tatsächlich verlor die AfD auch in NRW die meisten Stimmen an das Lager der Nicht-Wähler. Insgesamt, sagt Faas, wisse man über Nichtwähler zu wenig, da diese sich nicht an Nachwahlbefragungen beteiligten. Dadurch blieben ihre Motive zu sehr im Unklaren. „Das ist ein ernstes Problem“, sagt der Politikwissenschaftler. Grundsätzlich wisse man aber, dass „Nichtwahl häufig ein erster Weg“ sei, um „Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen – was häufig Regierungsparteien trifft“.
Fielen die Nichtwähler im Wahlergebnis nicht heraus, käme die CDU nur auf 19,7, die SPD auf 14,7, die Grünen auf 10,0, die FDP auf 3,2 und die AfD auf 3,0 Prozent. Die „Partei der Nichtwähler“, sagt Faas, gebe es aber nun einmal nicht. Zu unterschiedlich seien diejenigen, die ihre Stimme nicht abgeben. Man könne aber schon sagen, dass linke Parteien auf eine hohe Mobilisierung angewiesen seien. In Nordrhein-Westfalen verlor nicht nur die AfD Stimmen an das Nichtwähler-Lager, sondern auch die SPD in erheblichem Ausmaß.