Bloß nicht gendern, das spaltet nur
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Norddeutsche Grandezza: Der niedersächsische Ministerpräsident und SPD-Politiker Stephan Weil auf dem Pferdemarkt in Hameln Bild: Patrick Slesiona
Krieg, explodierende Preise, Angst vor Wohlstandsverlust: Wie gelingt politische Rhetorik in Zeiten der Krise? Ministerpräsident Stephan Weil zeigt es vor der Wahl in Niedersachsen beim Auftritt in Hameln.
In Hameln gewesen und einen Menschenfänger gesehen. Auf dem Pferdemarkt, schräg unter dem Glockenspiel und den dreimal am Tag ausfahrenden Rattenfängerfiguren, saß er auf einem Hocker und nahm die Leute für sich ein. Wie oft wurde er in Porträts schon als spröde und trocken beschrieben, als auraloser Kämmerer, als folgsamer Genosse der Bosse im VW-Land Niedersachsen, als einer, der verschlossen und durchschnittlich wirkt, keine Ausstrahlung besitzt. Ein „normaler biertrinkender Jurist“, so beschreibt Stephan Weil sich selbst, zuletzt in einem „Zeit“-Interview hat er sogar eine der höchsten Sympathieformeln der fußballliebenden Deutschen auf sich bezogen: „I am the normal one.“
Im Fernsehen, in Talkshows oder bei Kurzstatements vor der Parteizentrale erscheint Weil oft konventionell bis nichtssagend. Mit seinem nasalen Tonfall, seiner leicht oberlehrerhaften Miene wirkt er auf viele als Inbegriff dessen, was die SPD so unattraktiv macht: ein Parteisoldat, ein Apparatschik. Aber an diesem späten Nachmittag in der Provinz unter dem Glockenspiel erlebt man diesen Weil ganz anders. Da liegt eine gelöste Lebhaftigkeit, fast schon eine norddeutsche Grandezza in seinen Gesten und Mienen. Eine kaum verhohlene Freude über den Wahlsieg, der ihm an diesem Sonntag mit großer Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Eine Freude, die sich an diesem Hamelner Nachmittag in politische Spiellust verwandelt. Weil hat Lust auf das Gespräch mit den Bürgern, die ihre Fragen auf Bierdeckel schreiben und bei der freundlich lächelnden Moderatorin einreichen können. Weil hat Lust auf den Auftritt, die kleine Show. Er kommt – wie jeder gute Showstar – zu spät.
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