Nach Wahl in Großbritannien : Wird May sich halten können?
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Ihr letzter verbliebener Vertrauter: Premierministerin Theresa May mit ihrem Ehemann Philip beim Kirchgang in Sonning London Bild: dpa
Der Spielraum von Theresa May schrumpft. Verbündete verlangen große Zugeständnisse. Hinter den Kulissen laufen sich potentielle Nachfolger warm.
George Osborne, der frühere britische Schatzkanzler, ist nicht gut auf Theresa May zu sprechen, seit sie ihn im vergangenen Sommer aus dem Amt geworfen hat. Nach seinem Abschied aus der Politik, den viele als vorübergehend begreifen, kann er aber auch freier als andere aussprechen, was in der Partei gedacht wird. Das tat der inzwischen zum Chefredakteur des „Evening Standard“ berufene Osborne am Sonntag mit unnachahmlicher Schärfe. Nach diesem Wahlergebnis sei die Premierministerin eine „dead woman walking“, sagte er in der BBC – eine Frau, die dem politischen Tod geweiht ist. Ihr Abtritt sei nur eine Frage der Zeit.
Das sehen bei den Tories, mit Abstufungen und Schattierungen, wohl alle so, nachdem May ohne Not die absolute Mehrheit der Konservativen verspielt hat. Verzweifelt bemühte sich die Premierministerin am Wochenende, die Reihen geschlossen zu halten. Noch am Freitag bestätigte sie ihre wichtigsten Minister im Amt, um die Schwergewichte der Partei einzubinden. Zumindest öffentlich fiel ihr am Wochenende kein Kabinettsmitglied in den Rücken, auch wenn sich niemand zu einer Verteidigung Mays aufschwang. Verteidigungsminister Michael Fallon sagte am Sonntag, die Partei habe bei den Wahlen die meisten Stimmen und auch die meisten Sitze geholt, womit ihr das Recht auf die Regierungsbildung zustehe. Das gehörte schon zu den leidenschaftlicheren Loyalitätsbekundungen.
Begehrlichkeiten der DUP am Hals
Jeder, der die geschwächte Premierministerin jetzt unterstützt, fordert einen Preis. Philip Hammond, durch den May Schatzkanzler Osborne vor elf Monaten ersetzt hatte, soll ihr Treue versichert haben, sofern sie bei den anstehenden Brexit-Verhandlungen „die Jobs priorisiert“. Was vordergründig banal klingt, ist nicht weniger als eine Chiffre für einen „weicheren Brexit“. Denn die wirtschaftliche Zukunft des Landes wird von den meisten mit dem Zugang zum Europäischen Binnenmarkt verknüpft, und der rangiert auf Mays Prioritätenliste bislang hinter anderen Zielen: dass das Königreich die Kontrolle über die Einwanderung aus anderen EU-Ländern zurückgewinnt, dass die europäische Rechtsprechung nicht länger britische Gerichte bindet und dass London bilaterale Freihandelsabkommen aushandeln kann. Auch andere Tories, die Mays Verhandlungsstrategie gegenüber der EU kritisieren, machten klar, was sie jetzt erwarten. Ein „harter Brexit“ sei von den Wählern „zurückgewiesen“ worden, sagte die konservative Abgeordnete Anna Soubry.
Auch auf dem rechten Flügel wächst der Druck. Verlangt wird nicht nur, dass May ihrem bisherigen scharfen Brexit-Kurs treu bleibt und dem Europäischen Binnenmarkt sowie der Zollunion den Rücken kehrt. Auch andere Forderungen werden plötzlich erhoben. Am Sonntag warb der einflussreiche Abgeordnete Graham Brady dafür, das Wahlprogramm „noch einmal anzusehen“ und den Ausbau der umstrittenen Grammar Schools stärker voranzutreiben. Und jenseits ihrer eigenen Partei hat May nun auch noch die Begehrlichkeiten der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) am Hals, ohne die sie keine Mehrheit im Parlament erreichen kann. Auch die DUP wünscht sich einen klaren Bruch mit der EU, aber sie will kein Ergebnis, das die Grenze zwischen Nordirland und der irischen Republik weniger durchlässig machen würde.