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Nach Wahlniederlage in Berlin : Merkel gesteht Fehler in der Flüchtlingspolitik ein

Selbstkritisch wie selten: Bundeskanzlerin Angela Merkel gesteht Fehler in der Flüchtlingspolitik ein. Bild: dpa

Persönlich wie selten übernimmt Angela Merkel eine Mitverantwortung für das Wahldebakel in Berlin und gesteht Fehler in ihrer Flüchtlingspolitik ein. „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen“, sagte sie – bei ihrem Kurs will sie trotzdem bleiben.

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          Am Tag nach der historischen Wahlniederlage der CDU in Berlin waren die Erwartungen an den Auftritt der Kanzlerin wieder einmal groß. Wie würde sie das Wahldebakel erklären? Würde sie auch eine Mitverantwortung für das schlechte Ergebnis übernehmen wie schon nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Wochen? Und, vor allem: Würde sie einen Kurswechsel in ihrer Flüchtlingspolitik verkünden, die nach Ansicht ihrer Kritiker maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass die CDU in Umfragen und Wahlen das Siegen verlernt hat?

          Oliver Georgi
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Wer letzteres erwartet hatte, der wurde auch am Montag enttäuscht: Einen Kurswechsel in ihrer Flüchtlingspolitik lehnt die Kanzlerin auch nach der Wahlniederlage von Berlin ab. Trotzdem zeigt sich Merkel am Montag ungewohnt selbstkritisch – in einer Offenheit, die vor allem jene verblüfft haben dürfte, die der Kanzlerin in den letzten Wochen und Monaten immer wieder Fehler im Kommunikationsstil vorgeworfen haben.

          Ja, die Wahl in Berlin habe für die CDU ein „sehr unbefriedigendes Ergebnis, ein enttäuschendes Ergebnis“ gehabt, erklärt Merkel, als Bundesvorsitzende ihrer Partei trage sie dafür eine Verantwortung. Dass die CDU gegenüber dem letzten „schon nicht guten Ergebnis“ noch einmal fast sechs Prozent eingebüßt habe, sei „sehr bitter“. Und ja: Das schlechte Abschneiden der CDU habe wohl auch mit ihrer Flüchtlingspolitik zu tun, in der die Regierung, aber auch sie selbst in der Vergangenheit „nicht alles richtig gemacht“ hätten. „Wir waren nicht gerade Weltmeister bei der Integration und haben zu lange gewartet, bevor wir uns der Flüchtlingsfrage genähert haben.“ Auch sie selbst habe sich „zu lange auf das Dublin-Verfahren verlassen“, fügt Merkel hinzu. „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen, damit Deutschland besser auf die Entwicklungen vorbereitet gewesen wäre.“ Sie werde dafür kämpfen, dass eine solche Krise nicht mehr passieren könne. „Die Wiederholung der Situation will niemand, auch ich nicht.“

          Merkel will jetzt besser kommunizieren

          Das sind deutliche, vor allem aber persönliche Sätze, die man von der als nüchtern geltenden Kanzlerin so womöglich noch nicht gehört hat. Damit reagiert sie nun offenkundig zumindest auf die immer lautere Kritik, sie kommuniziere ihre Politik in der Flüchtlingskrise nicht gut genug. Denn das Thema Kommunikation nimmt in ihrer Erklärung einen großen Teil ein. „Manch einem gefällt es nicht, dass das Ziel, die Richtung und die Grundüberzeugung der Flüchtlingspolitik der Regierung nicht ausreichend erklärt worden ist“, sagt Merkel. Deshalb wolle sie sich künftig darum bemühen, dies besser zu tun. In ihren Satz „Wir schaffen das“ sei „viel hineingeheimnist“ worden, „so viel, dass ich ihn kaum noch wiederholen mag, weil er beinahe zur Leerformel geworden ist“. Mancher habe sich sogar von ihm „provoziert“ gefühlt, dabei sei das von ihr nie so gemeint gewesen. „Ich habe den Satz dezidiert anerkennend gemeint“, sagt Merkel dann. „Weil ich von der Hilfsbereitschaft der hier lebenden Deutschen überzeugt bin.“

          Noch (zweck-)optimistisch vor der Wahlschlappe von Berlin: Merkel und der Berliner CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel am vergangenen Mittwoch in Berlin
          Noch (zweck-)optimistisch vor der Wahlschlappe von Berlin: Merkel und der Berliner CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel am vergangenen Mittwoch in Berlin : Bild: dpa

          Viel Selbstkritik also und noch mehr semantische Exegese – inhaltlich jedoch, beim von ihren Kritikern geforderten Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik –, bleibt Merkel trotz allen Entgegenkommens hart. In einer Umfrage hätten 82 Prozent der Befragten einen Kurswechsel gefordert, so Merkel. „Wenn ich dieser schieren Zahl präzise entnehmen könnte, welche Kursänderung sich die Menschen wünschen, dann würde ich darüber gerne in eine Diskussion eintreten.“ Wenn damit gemeint sei, dass die Menschen schlichtweg keine Fremden und speziell keine Fremden islamischen Glaubens in Deutschland wollten, dann könne sie als Kanzlerin dem nicht folgen, weil das Grundgesetz und das „ethische Fundament“ der CDU dem widerspreche, so Merkel. „Wenn die 82 Prozent mir aber sagen wollen, die Situation aus dem vergangenen Jahr soll sich nicht noch einmal wiederholen, dann kämpfe ich genau dafür. Diesem Ziel dienen alle Maßnahmen der letzten Monate.“ 

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