Eine Politikwissenschaftlerin erzählt : Wie ich Piratin wurde
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Julia Schramm, Bloggerin und Mitglied der Piratenpartei Bild: Gyarmaty, Jens
Die Schröder-SPD war mir ein Graus, die CDU keine Alternative, die FDP zu zynisch, und die Grünen waren mir zu spießig. Ich wollte Freiheit jenseits von Gut und Böse. Deshalb bin ich in der Piratenpartei.
Bereits in jungen Jahren fühlte ich eine unbestimmbare Abneigung gegen den synthetischen Konsens der westlichen Welt. Ich wollte rebellieren, anders sein und die großen Kämpfe der Vergangenheit führen, in denen Rudi Dutschke mit einer Zwanzig-Menschen-Demonstration die Republik in ihren Grundfesten zu erschüttern schien. Da ich bereits früh Texte im Netz las, aggregierte ich einen stabilen, überzeugten „Bauchkommunismus“, der vom Willen zur Gerechtigkeit geprägt war und vom Vertrauen, dass Menschen Gutes tun, wenn sie Gutes erleben. Da ich ungefähr genauso viel über Marx wusste wie ein durchschnittlicher Christ über die Bibel, kann man meinen Glauben an den Kommunismus getrost als Ersatzreligion bezeichnen. Bitter war die Erkenntnis, dass es Gut und Böse nicht gibt, ja, dass Wahrheit eine Konstruktion meines Geistes ist. Doch wenn es Gut und Böse nicht gibt, bleibt nur die Freiheit.
Mit dem 11. September als Wendepunkt der freiheitlichen Gesellschaften des Westens, als Wendepunkt auch meines Lebens, verpflichtete ich mich der offenen Gesellschaft. Mehr noch, ich entschied mich gegen den Hedonismus und begann, mich für die Belange dieser Welt zu interessieren. Und blickte mich um. Auch in der Parteienlandschaft.
Konflikt, Streit, Herausforderung
Die Grünen weckten bereits früh mein akutes Desinteresse - die angepassten Streber dominierten mit selbst bemalten Fahrrädern und der Sehnsucht zur Natur meine Stufe, sodass ihre Parolen gegen das Establishment bereits einer Sechzehnjährigen absurd vorkamen. Vor allem als Allergiker und Stubenhocker langweilte mich diese retrokonservative Haltung, die mit einem abstrakten Wohlfühlgefühl beim Weltretten im Park einherging. Internet und substantielle Kritik an der Realität fand ich wesentlich spannender; ich wollte Konflikt, Streit, Herausforderung.
Schnell lernte ich, dass man mit Pink, Pelz und Perlenohrringen die Grünen einfach zu schön ärgern und gleichzeitig Jungspießer in Seglerschuhen und Barbour-Jacke mit Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und der Freigabe von Marihuana schockieren kann. Schließlich muss linksliberales Gedankengut nicht in einem mit Henna gefärbten Kopf sitzen. Die SPD unter Schröder war mir ein Graus, auch wenn mein Herz immer Kurt Schumacher gehören wird und ich laut gegen den Irak-Krieg protestierte. Aber spätestens, als Otto Schily entschied, sich auf die andere Seite der Wasserwerfer zu stellen, war meine partiell vorhandene Liebe erloschen.
Politisch denken lernen
Die CDU war für mich nie eine Alternative, was sich in einem förmlichen Brief der Jungen Union meiner Heimatstadt Hennef auf totem Holz erkennen lässt, in dem man mich bat, meine Äußerungen über die JU und die Kanzlerin Dr. Angela Merkel (ihr Name war in Großbuchstaben geschrieben) im Internet zu unterbinden. Nun denn, ich hatte mich also der Freiheit verschrieben, dem Liberalen, und strebte an die Universität Bonn. Ich wollte nicht nur politisch sein, ich wollte politisch denken lernen. Dort traf ich auf Junge Liberale. Sie wirkten freiheitlich, hatten Geschmack und waren zynisch-lustig. Sie waren Westerwelle gegenüber kritisch und mochten die FDP der siebziger Jahre. Dahrendorf, Hamm-Brücher, Scheel. Ich glaubte, mich wohlzufühlen. Ich glaubte, Liberale gefunden zu haben.