Vor dem G-8-Gipfel : Eine neue Weltordnung?
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Neues politisches Traumpaar? Der amerikanische Präsident Obama mit Indiens Premierminister Singh Bild: REUTERS
Globale Probleme verlangen globale Lösungen. Allein kann Amerika, kann der Westen es nicht stemmen. Aufsteiger wie Indien oder China wollen mitreden und beanspruchen einen Platz am Vorstandstisch der Weltpolitik. Doch beim Aufbau einer neuen Weltordnung ziehen nicht alle am gleichen Strang.
Nach verbreiteter Auffassung hat die Finanz- und Wirtschaftskrise die Verlagerung wirtschaftlicher Macht vom nordatlantischen Raum nach Asien noch beschleunigt. Tatsächlich sind die großen asiatischen Länder schneller aus der Krise herausgetreten als die alten Industriestaaten, deren Wachstum nicht annähernd so eindrucksvoll ist wie das der Asiaten. Deren Aufstieg ins Zentrum der Weltwirtschaftspolitik ist für jedermann sichtbar geworden durch ihre Rolle in der Gruppe der Zwanzig; ihre Mitwirkung und die anderer Schwellenländer an der Überwindung der Finanzkrise wurde für unerlässlich erklärt, nicht zuletzt von den westlichen Regierungen.
Die Bedeutung dieser Länder ist heute - und noch mehr mit Blick auf die Zukunft - weithin unbestritten; es ist schon üblich geworden, die neue Verteilung von Macht und Einfluss in der Welt mit dem Begriff „Multipolarität“ zu beschreiben. Damit ist oft ein Abgesang auf den Westen im Allgemeinen und die Vereinigten Staaten im Besonderen verbunden, deren „unipolarer Moment“ sich irgendwo zwischen dem Irak-Krieg und dem Zusammenbruch von Lehman Brothers aufgelöst habe.
Dass die Vereinigten Staaten trotz Krise und Haushaltsdefizit den neuen Aufsteigern auf (fast) allen Feldern noch immer weit voraus sind - bei der Militärmacht uneinholbar weit -, wird gerne übersehen; wie überhaupt die Innovationskraft des Westens unterschätzt wird. Der Kanon geht heute so: Globale Probleme, wie zum Beispiel die Anpassung an den Klimawandel, verlangen globale Lösungen, an denen zumindest die wichtigsten Staaten mitwirken müssten. Allein kann Amerika, kann der Westen es nicht stemmen .
Schwellenländer mitbestimmen lassen und an Lösungen beteiligen
So viel ist offenkundig: Die Aufsteiger beanspruchen jetzt einen Platz am Vorstandstisch der Weltpolitik; sie sonnen sich im Glanz der Erwartungen, die von Washington bis Berlin an sie gerichtet werden und sich weitgehend an ihrer atemberaubenden wirtschaftlichen Aufholjagd orientieren. Da ist es nur logisch, dass die Schwellenländer auch bei den Entscheidungen mitbestimmen wollen, wenn sie sich an der Lösung globaler Aufgaben beteiligen sollen. Die Frage ist, ob sie tatsächlich bereit sind, auch Verantwortung zu übernehmen. Der Verlauf der Weltklimakonferenz hat hier einige Illusionen beseitigt.
Da stand zum Beispiel die Verhandlungsführung Indiens in puncto Verhinderungstaktik der chinesischen in nichts nach. Indien will nach den Worten seiner politischen Führung an der Lösung globaler Probleme mitwirken und überall ein Wort mitreden: in der G 20 - von der G 7 wird kaum noch gesprochen - und am liebsten als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Indien möchte allerdings auch weiterhin mit einem Bein in der alten Zeit verharren, in der Gruppe der Blockfreien, einem Anachronismus, und auf diese Weise seine Verhinderungsmacht ausspielen.
Mit den anderen Möchtegernpolen der neuen Multipolarität hat es überdies eine Haltung gemein, die dem alten Westen schon jetzt zu schaffen macht und künftig noch mehr zu schaffen machen wird: Sie lassen sich nur zögernd auf dessen Agenda ein und kokettieren damit, dass sie spätestens dann, wenn sie selbst im Zenit angekommen sind, die Spielregeln ändern könnten. Das sind immerhin Regeln, denen sie zum Gutteil ihren wirtschaftlichen Aufstieg verdanken.
Wo Menschen bettelarm sind, liegen die Prioritäten anders
Dieses selektive Mittun hat neben dem Auskosten der neuen Macht vor allem zwei Gründe: China, Indien oder Brasilien haben eine andere historische Perspektive, wenn sie auf das Problem- und Konflikttableau des 21. Jahrhunderts blicken; ihr alles überragendes Interesse bleibt die Fortsetzung der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung und Modernisierung. Das erklärt zum großen Teil die Klimapolitik Pekings und Delhis oder die superneokoloniale Rohstoffpolitik Chinas. Wo Hunderte Millionen Menschen nach wie vor bettelarm sind, sind die Prioritäten notgedrungen anders.
Appelle an das globale Verantwortungsbewusstsein werden da nicht (immer) wirken. Der Westen kann die „neuen Mächtigen“ noch so sehr umwerben und wird doch häufig erleben, dass sie die Aufgaben und Konflikte einfach aussitzen wollen und als Zugabe noch spöttisch das Hohelied der internationalen Zusammenarbeit singen. Auch im Zeitalter globaler Interdependenz haben die Staaten unterschiedliche Interessen und Ziele. Die des Westens werden hier und da vorgehen müssen, einfach weil sich die anderen verweigern oder, wie im Falle von Sanktionen gegen Iran, die Sache sogar hintertreiben.
Obschon Indien und Amerika eigentlich das demokratische Traumpaar bilden könnten (und womöglich eines Tages bilden werden), lässt sich Indien nicht mit amerikanischen Vorschusslorbeeren ködern, das Land könne die große Erfolgsgeschichte dieses Jahrhunderts werden. China wiederum wehrt sich vehement gegen die Vorstellung eines amerikanisch-chinesischen Weltführungsduos.
Dagegen spricht ohnehin die große Zahl strittiger Themen von der Währungspolitik bis zu den Menschenrechten. Indien, die nächste Wirtschaftsgroßmacht, ist wie die um ihren Platz fürchtenden Europäer auch gegen solche Vorstellungen. Die Losung für das globale Zeitalter heißt Teilhabe, aber damit ist noch nicht garantiert, dass beim Aufbau einer neuen Weltordnung auch alle am gleichen Strang ziehen.