Republikaner Carson : Die frommen Lügen des Kandidaten
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Das Bild muss stimmen: Carson bei einem Wahlkampfauftritt in Florida Bild: AFP
Der republikanische Präsidentschaftskandidat Ben Carson soll sich die Geschichte seines wundersamen Aufstiegs vom Gewalttäter zum Chirurgen zurechtgebogen haben. Jedoch haben Freunde, Klassenkameraden und Nachbarn von einigen seiner Anekdoten anscheinend nichts mitbekommen.
Die Suche nach Leichen in den Kellern politischer Aufsteiger gehört in Amerika zum journalistischen Einmaleins. Also trieb sich ein Team des Senders CNN vorige Woche in Detroit herum, wo der Präsidentschaftskandidat Ben Carson 1951 geboren wurde. Sie suchten Mitschüler und andere Weggefährten des Republikaners, der den Spitzenreiter Donald Trump in den Umfragen eingeholt hat.
Sie wollten vor allem einer alten Geschichte nachgehen: dass Carson als Neuntklässler beinahe seinen Freund Bob erstochen habe. Doch die Reporter fanden niemanden in Detroit, der sich an diesen oder ähnliche Zornesausbrüche erinnern konnte. Sie meldeten, an der Story sei womöglich nichts dran. Carson schäumte.
Denn er selbst hat die Episode sein Leben lang erzählt. Sein politisches Kapital gründet auf seiner Lebensgeschichte. 2009 wurde der Stoff sogar für das Fernsehen verfilmt: ein junger Schwarzer, der in armen Verhältnissen aufwächst, Gewalttaten sieht und begeht, immer wieder ausrastet, dann aber zu Gott findet, unter Anleitung seiner ungebildeten Mutter einen unbändigen Bildungshunger entwickelt, an der Universität Yale Medizin studiert und als Gehirnchirurg gefeiert wird.
1987 wirkte Carson maßgeblich an der ersten Trennung von am Kopf zusammengewachsenen siamesischen Zwillingen mit. In fünf selbstverfassten Büchern hat er den Vorfall mit dem Messer beschrieben. Am dramatischsten klingt die Passage in seiner Autobiographie „Begnadete Hände“. Seit 25 Jahren wird sie in Schulen, Jugendzentren und Kirchen Afroamerikanern zu lesen gegeben, um ihnen Zuversicht zu geben.
Mit seinem Freund Bob, so schilderte Carson es 1990 in dem Buch, habe er Radio gehört, als dieser plötzlich den Sender verstellte. „In dem Moment packte mich blinde Wut, pathologische Wut. Ich griff nach dem Campingmesser, das ich in meiner hinteren Hosentasche trug, ließ es aufschnappen und stürzte auf den Jungen zu, der mein Freund gewesen war. Mit aller Kraft meiner jungen Muskeln stieß ich mit dem Messer auf seinen Bauch zu. Das Messer traf die große Gürtelschnalle mit solcher Kraft, dass die Klinge abbrach und zu Boden fiel. Ich starrte auf die kaputte Klinge und wurde schwach. Ich hätte ihn beinahe getötet.“
Freunde sind schockiert über die Selbstdarstellung
Unzählige Male hat Carson die Episode beschrieben: Aufgewühlt habe er sich zu Hause im Bad verschanzt, und herausgekommen sei er als gottesfürchtiger Mensch, der sein Temperament in den Griff bekam. Dass Carson stets mit der ruhigen Stimme des Chirurgen spricht, die im Vergleich zu der des allzeit angriffslustigen Trump geradezu einschläfernd wirkt, verstärkt den dramaturgischen Effekt.
CNN hätte sicher gern jemanden vor die Kamera bekommen, der diese oder ähnlich packende Szenen aus Ben Carsons Leben lebendig beschreibt. Schließlich hat der Kandidat auch von Schlägereien berichtet oder davon, wie er einem Jungen die Nase brach, indem er ihn mit einem Stein bewarf. Doch alle neun „Freunde, Klassenkameraden und Nachbarn“, die der Sender ausfindig machte, hätten sich überrascht bis schockiert über die Selbstdarstellung des Kandidaten gezeigt.
Von chronischen Wutausbrüchen wollen sie nichts mitbekommen haben. Das ist kein Beleg dafür, dass sich die Vorfälle nicht wie von Carson geschildert zugetragen haben, worauf auch CNN in seinen Beiträgen hinweist. Doch der Kandidat spricht von „Lügen“ und will zur Klärung nicht beitragen. „Bob“ sei nicht der echte Name des Jungen, teilte Carson mit; es habe sich um einen „engen Verwandten“ gehandelt. Er werde aber keine Klarnamen nennen, um nicht andere Leute in die „Hexenjagd“ der Medien hineinzuziehen.