
Nach der Wahl Bidens : Mehr Verantwortung wagen
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Freut sich darauf, Kamala Harris kennenzulernen: Bundeskanzlerin Angela Merkel Bild: AFP
Auch nach Bidens Wahl sollte in Deutschland nicht der Irrglaube aufkommen, bald würden sich sämtliche Streitfälle in Luft auflösen.
Man wird schon sagen können, dass die große Mehrheit der Deutschen und die große Mehrheit ihrer Politiker den amerikanischen Präsidenten bekommen dürften, den sie sich gewünscht haben. Amtsinhaber Trump hatte an den Deutschen und an ihrer Politik kein gutes Haar gelassen. Die deutschen Verteidigungsausgaben zum Beispiel hatten schon seine Vorgänger kritisiert. Aber Trump tat das auf eine Weise, die man nur als erpresserisch und rachsüchtig bezeichnen kann.
Unter ihm sind weitere Streitpunkte hinzugekommen. Zum Ende der Amtszeit Trumps ist das deutsch-amerikanische Verhältnis, das für die transatlantische Verbindung essentiell ist, in schlechter Verfassung – es kann nur besser werden. Kein Wunder, dass nicht nur Kanzlerin Merkel einem Neuanfang mit Biden, der den Europäern viel Sympathie entgegenbringt, mit großer Vorfreude entgegensieht. Und hoffentlich auch mit Realismus.
Multilateralismus darf Eigenverantwortung nicht ersetzen
Es sollte nämlich gar nicht erst der Irrglaube aufkommen, wenn Trump das Weiße Haus verlassen habe, würden sich sämtliche Streitfälle in Luft auflösen, so als gäbe es keine Meinungsunterschiede und keine handfesten Interessenkonflikte. Die gibt es weiterhin, wenn auch nicht überall dort, wo Trump sie vom Zaun gebrochen hat. Aber jedem in Deutschland (und in der EU) muss jetzt klar sein, dass die Partnerschaft mit Amerika nicht mehr so funktioniert wie vor dreißig oder zwanzig Jahren.
Wenn die Trump-Jahre eines gelehrt haben, dann das: Wir, die Deutschen wie die Europäer insgesamt, müssen mehr für unsere Sicherheit und für unser Wohlergehen tun. Die Tribünen der Weltpolitik waren der Platz von gestern; damit ist es vorbei. Auch Biden will und kann nicht mehr ordnungspolitischer Alleinunterhalter sein.
Dass er wieder dem Pariser Klimaabkommen beitreten und den Austritt aus der WHO rückgängig machen will, passt zum Ansatz der Europäer. Doch Multilateralismus funktioniert nur dann, wenn er Eigenverantwortung nicht ersetzen soll. Investieren wir in unsere Handlungs- und somit Zukunftsfähigkeit, investieren wir in die Partnerschaft mit Amerika. Es bleibt die Post-Trump-Einsicht: Nur wenn wir zusammenstehen, können wir die großen Aufgaben meistern. Also Butter bei die Fische! Und nicht der Vergangenheit nachtrauern oder von Abkopplung phantasieren.
