Tausende Masken verschwunden : Moderne Piraterie?
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Atemschutzmasken aus China: Das Flugzeug der New England Patriots hat in der Krise eine neue Aufgabe. Bild: dpa
Hat Amerika wegen der Corona-Krise der deutschen Hauptstadt 200.000 Atemschutzmasken weggeschnappt? Das sagt der Berliner Senat. Das Weiße Haus stellt die Sache anders dar.
Hinweis: Zu diesem Artikel gibt es ein Update am Ende des Textes.
Der Vorwurf wiegt schwer: Eine Lieferung von Schutzausrüstung, die das Land Berlin für seine Polizei wegen der Corona-Pandemie bestellt hatte, soll von den Vereinigten Staaten abgefangen und nach Amerika umgeleitet worden sein. Es handelt sich um 200.000 Schutzmasken von der Sorte FFP2, die von Berlin bestellt und bezahlt worden sind, wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Freitag publik gemacht hatte. Sie seien auf dem Flughafen Bangkok in Thailand, wo sie umgeladen werden sollten, „konfisziert“ und nach Amerika umgeleitet worden, schrieb Geisel, wobei er das Wort konfisziert in Anführungsstriche setzte.
Geisel sparte nicht an Kritik: „Wir betrachten das als Akt moderner Piraterie. So geht man mit transatlantischen Partnern nicht um.“ Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) reagierte. Das Handeln des amerikanischen Präsidenten Donald Trump sei „unmenschlich und inakzeptabel“. Die Bundesregierung müsse gegenüber Washington auf der Einhaltung internationaler Regeln bestehen.
Für das Weiße Haus stellt sich der Sachverhalt anders dar. Präsident Donald Trump machte am Freitag deutlich, dass er den „Defense Production Act“ (DPA) aktiviert habe, um den Export von „wichtigem medizinischen Produkten“ von „skrupellosen Akteuren“ zu unterbinden. Er nannte keine Namen. Später sprach er davon, dass es darum gehe, Hortungskäufe und Preiswucher zu verhindern. „Wir brauchen diese Produkte dringend im Inland“, sagte er. Auf der Grundlage des Gesetzes, das aus den Tagen des Korea-Krieges stammt und mit dem die Regierung auch Unternehmen verpflichten kann, bestimmte Produkte herzustellen, habe das Gesundheitsministerium gemeinsam mit dem Justizministerium 200.000 N95- Atemschutzmasken, 130.000 chirurgische Masken, 600.000 medizinische Handschuhe, Desinfektionsmittel und andere Produkte in Besitz genommen und nach New York und nach New Jersey weitergeleitet.
Das Weiße Haus drohte dem amerikanischen Konzern
Auf den konkreten Berliner Fall ging Trump nicht ein. Er fügte aber hinzu: „Wenn ein Land, sagen wir Italien, Spanien oder Frankreich – ein Land mit großen Problemen – Produkte bestellt hat, wenn es langfristige Bestellungen gibt, dann habe ich die Lieferung nicht behindert.“ Diese Länder hätten in der Pandemie Probleme, die noch größer seien als die der Vereinigten Staaten. Da stelle er sich nicht dazwischen. Das wäre „sehr unfair“.
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JETZT F+ LESENBei dem Hersteller der Masken handelt es sich nach Angaben des Berliner „Tagesspiegel“ um die amerikanische Firma 3M, die Schutzmasken in China produziert. (Diese Information zieht die „Berliner Zeitung“ inzwischen in Zweifel – siehe Hinweis am Ende dieses Textes.) Von dort sollen auch die 200.000 Masken für Berlin gekommen sein. Der Konzern ließ nun wissen, dass er keine Hinweise darauf habe, dass 3M-Produkte beschlagnahmt worden sein. Zudem teilte 3M auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit, dass man „keine Unterlagen über eine Bestellung von Atemschutzmasken aus China für die Berliner Polizei“ habe. Berlin soll allerdings insgesamt 400.000 Masken bei dem Konzern bestellt haben, von denen 200.000 nur die erste Lieferung waren. Bei der Bestellung muss der Verwendungszweck für die Polizei nicht zwingend angegeben worden sein.
Der Hersteller 3M steht derzeit unter enormen Druck durch Washington. Angesichts der verzweifelten Lage wegen der raschen Ausbreitung der Corona-Krankheit in den Vereinigten Staaten drohte das Weiße Haus dem in Minnesota beheimateten Konzern, weil er bis vor kurzem immer noch an Kunden außerhalb Amerikas Schutzausrüstung lieferte.
Peter Navarro, Direktor des von Trump geschaffenen Nationalen Handelsrats der Vereinigten Staaten, machte dem Konzern schwere Vorwürfe. Während andere amerikanische multinationale Konzerne sich patriotisch verhielten, gehe es 3M nur um Profitmaximierung. Navarro rief 3M deswegen dazu auf, seinen „Propagandakrieg“ zu beenden. Während das Unternehmen sich nur um seinen Geschäftsabschluss sorge, „sterben Amerikaner, und das amerikanische Gesundheitspersonal ist schutzlos“. In einem Tweet ging auch Trump das Unternehmen scharf an: Man habe 3M „hart getroffen“, nachdem die Regierung gesehen habe, was das Unternehmen mit den Masken mache. Es werde einen hohen Preis zahlen müssen.
Das Unternehmen teilte am Freitag mit, es sei bereit, sich an die Anweisungen Trumps zu halten und mehr N95-Masken an die Vereinigten Staaten zu liefern. Es wandte sich aber dagegen, von Washington gezwungen zu werden, alle Auslandsexporte einzustellen. In einer Erklärung heißt es, das Unternehmen habe alle Mittel und Hebel in Bewegung gesetzt, um so viele Atemschutzmasken wie möglich für den amerikanischen Markt zu produzieren. Ein Lieferstopp etwa für medizinisches Personal in Kanada und Lateinamerika hätte allerdings „humanitäre Konsequenzen“. Und ein solcher Schritt würde wohl in den Ländern zu Vergeltungsmaßnahmen führen.
In Deutschland kritisierte der Außenpolitiker Norbert Röttgen (CDU) das Verhalten der Vereinigten Staaten. Zwar habe auch Deutschland ein Export-Verbot für Masken verhängt. Aber die Maßnahmen, die Trump nun ergreife, um Masken und Tests zu beschaffen, seien nicht akzeptabel. „Nicht das Recht des Stärkeren, sondern Solidarität und Kooperation sollten das Gebot der Stunde sein“, schrieb Röttgen auf Twitter. Am Samstag ergänzte eine Sprecherin der Polizei gegenüber dem Tagesspiegel, die Lieferung sei nach „Aussage unseres Vertragspartners umgeleitet worden“. Dieser werde für entsprechenden Ersatz sorgen.
Amerika kauft Waren vom Rollfeld weg
Der Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus, der CDU-Politiker Burkhard Dregger, kritisierte indes den Berliner Senat. Die Klagen über die Amerikaner zeigten nur „das Ausmaß der Erfolglosigkeit des Senats, Schutzausrüstung für Berlin zu besorgen“, sagte Dregger der F.A.Z. Anstatt von Konfiskationen zu reden, die auf einem anderen Staatsgebiet nicht möglich seien, müsse der Senat endlich „Krisenmanagement“ betreiben. „Das heißt, dass der Senat ein Flugzeug chartern und vor Ort mit den richtigen Leuten verhandeln muss“, sagte Dregger. Es sei naiv, sich in der gegenwärtigen Situation auf die üblichen Regeln des Geschäftslebens zu verlassen.
Ähnliche Vorwürfe, wie sie Berlin gegenüber den Vereinigten Staaten macht, hatte zuvor Frankreich erhoben. Der Präsident der Region Grand Est, Jean Rottner, sagte, die Amerikaner würden Masken, die Frankreich bestellt habe, in China „auf dem Rollfeld“ aufkaufen und dafür „drei oder viermal so viel“ bezahlen wie üblich.
Auch aus Kanada kam Kritik. Premierminister Justin Trudeau sagte, er verstehe die große Nachfrage in den Vereinigten Staaten. Doch müsse Kanada sicherstellen, dass für das Land bestimmte Ausrüstung dorthin komme und auch dort bleibe. Seine Regierung habe Washington „energisch“ daran erinnert, dass Handel keine Einbahnstraße sei. So wies Trudeau darauf hin, dass Tausende von Krankenschwestern und Pflegern aus Ontario täglich nach Michigan fahren, um in den Krankenhäusern von Detroit zu arbeiten. Viele von ihnen hätten sich dabei selbst mit dem Coronavirus infiziert.
Update:
Zu dem Sachverhalt gab es am Samstagabend einen neuen Bericht. Danach wurden die Schutzmasken nicht bei dem amerikanischen Unternehmen 3M bestellt, sondern bei einem deutschen Vertragspartner. Nach dessen Aussagen seien 200.000 Masken in Thailand zurückgehalten worden, die am Wochenende Deutschland erreichen sollten. Das berichtet die „Berliner Zeitung“ unter Bezug auf den Berliner Polizeisprecher. Es werde nach Angaben des Polizeisprechers geprüft, ob und inwieweit die amerikanische Regierung in den Vorgang involviert gewesen sei. Sicher sei aber, dass die Masken in Amerika gelandet seien, sagte Martin Pallgen, der Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD), der Zeitung. „Das, was wir gestern in recht forschen Worten gesagt haben, das ist erstmal nicht zurückzunehmen“, wird Pallgen zitiert.