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Volksabstimmung in Stuttgart : Bilde Dir eine Meinung

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In Stuttgart sind nun die Bürger am Zug, denen die Ränke und Intrigenspiele um den Bahnhof zunehmend auf den Geist gehen.

In Stuttgart sind nun die Bürger am Zug, denen die Ränke und Intrigenspiele um den Bahnhof zunehmend auf den Geist gehen. Bild: dpa

Die grün-rote Landsregierung will zur Abstimmung über Stuttgart 21 an alle Haushalte eine Broschüre verteilen. Da stehen viele Ungereimtheiten drin. Täuscht die Landesregierung die Bürger?

          6 Min.

          Es begab sich im Februar 2001, als der baden-württembergische Verkehrsminister Ulrich Müller (CDU) ein großes Wort sprach. Im Stuttgarter Bahnhof, von seinem Erbauer Paul Bonatz „umbilicus sueviae“ genannt, Nabel Schwabens, wurde nicht weniger als der Durchbruch von Stuttgart 21 verkündet, einem visionären Projekt, das damals noch dem Zeitgeist entsprach. Dies sei ein großer Tag, schwärmte Müller, „der in die Landesgeschichte eingehen wird“.

          Zehn Jahre sind seitdem ins Land gezogen, Müllers CDU regiert nicht mehr, und was das Bahnhofsprojekt betrifft, hat es noch so manchen großen Tag gegeben. Nun kommt ein weiterer hinzu. Am 27. November steht im Südwesten erstmalig eine Volksabstimmung über eine Gesetzesvorlage der Landesregierung an. 7,6 Millionen Bürger dürfen dabei abstimmen über eine Finanzierungsvereinbarung zu Deutschlands umstrittenstem Bahnhof, der freilich längst im Bau ist. Damit das Volk sich ein Bild machen kann, hat die Landesregierung eine 220.000 Euro teure Informationsbroschüre aufgelegt, die bisher unveröffentlicht ist und laut Staatsministerium bis 17. November an alle 5,4 Millionen Haushalte geschickt wird.

          Die Hauspostille sei Ausweis des Politikwechsels in Baden-Württemberg. So steht es jedenfalls im gemeinsamen Grußwort von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und seinem Stellvertreter Nils Schmid (SPD). Mit der Volksabstimmung „schlagen wir ein neues Kapitel der Demokratie unseres Landes auf“, verkünden die Koalitionäre. Bei Stuttgart 21 gehe es nicht nur um ein Verkehrsprojekt. „Ein großer Teil des Protests richtet sich auch gegen eine bestimmte Art von politischem Stil aus der Vergangenheit. Diesen Stil hat die neue Landesregierung geändert. Wir haben verstanden - die Menschen werden ernst genommen.“

          Wie ernst die grün-rote Landesregierung die Menschen nimmt, ist auf zwölf Seiten nachzulesen, die ein Muster sind für politische Meinungsbildung. Der Bürger erfährt nicht nur, dass er mit „Ja“ votieren muss, wenn er gegen den neuen Tiefbahnhof ist, und mit „Nein“, wenn er dafür ist. Er bekommt auch noch „zehn Argumente für die Kündigung und Auflösung der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21“ an die Hand und zehn Argumente dagegen. Die Argumente dafür und also gegen das Projekt stammen vom grünen Verkehrsminister Winfried Hermann, die Argumente dagegen und also fürs Projekt vom SPD-Staatssekretär im Finanzministerium Ingo Rust. Beide Regierungspartner stehen sich in dieser Frage unversöhnlich gegenüber. Der ernstgenommene Bürger soll sich seinen eigenen Reim darauf machen und wird mit dem ganzen Kauderwelsch im Sinne des neuen Politikstils alleine gelassen.

          Unterschiedliche Kosten im „roten“ und „grünen“ Teil

          So heißt es im „roten“ Teil der Publikation, dass im Falle eines Ausstiegs Kosten von 1,5 Milliarden Euro entstünden, ohne dass dafür etwas gebaut würde. Dies deckt sich mit den Angaben von Bahn, Stadt und Region. Im „grünen“ Teil liegen diese Kosten hingegen „bei unter 350 Millionen Euro“. Die niedrigere Zahl ist insofern bemerkenswert, als der SPD-Justizminister seinen federführenden Kollegen von den Grünen vor Drucklegung ausdrücklich davor gewarnt hat, dies so zu schreiben. In einem internen Papier schreibt das Justizministerium: „Erhebliche Bedenken bestehen gegen die Aussage, dass die Ausstiegskosten nach heutigem Kenntnisstand bei höchstens 350 Millionen Euro liegen. Es erscheint äußerst zweifelhaft, in welchem Umfang die nachgewiesenen Kosten von welchem Vertragspartner letztlich zu tragen sind.“ Sollte am Ende ein Gericht entscheiden, dass es nicht rechtens gewesen ist, aus dem Vertrag auszusteigen, käme „eine unbegrenzte Haftung für alle den Vertragspartnern entstandene Schäden in Betracht“.

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