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Fall Tyre Nichols : Proteste gegen Polizeigewalt in Amerika

  • Aktualisiert am

Demonstranten gegen Polizeibrutalität am Freitag in Atlanta Bild: dpa

In Memphis, Atlanta und anderen Städten sind Menschen auf die Straße gegangen. Befeuert wurden die Proteste von Videos eines Polizeieinsatzes in dessen Folge ein 29 Jahre alter Schwarzer starb.

          3 Min.

          Mit großer Anspannung war in den Vereinigten Staaten die Veröffentlichung von Videoaufnahmen eines brutalen Polizeieinsatzes erwartet worden, nach dem ein 29 Jahre alter Schwarzer an seinen Verletzungen gestorben war. Am Freitagabend wurden von der Polizei in Memphis im Bundesstaat Tennessee mehrere Videos freigegeben, die den Vorfall aus verschiedenen Einstellungen zeigen. Der amerikanische Präsident Joe Biden zeigte sich von den Bildern schockiert. In Memphis kam es zu Protesten.

          In den nun veröffentlichten Videos ist zu sehen, wie Tyre Nichols zuerst von der Polizei in seinem Auto angehalten wird. Daraufhin ziehen die Beamten ihn aus dem Auto und drücken ihn zu Boden. Immer wieder brüllen ihn die Polizisten in den Aufnahmen sichtlich aufgebracht an, sich auf den Boden zu legen. Dabei liegt Nichols bereits am Boden. Nichols erscheint in der Situation besonnen, sagt den Polizisten mehrmals, sie sollen aufhören. Er sei auf dem Weg nach Hause, hört man Nichols sagen und: „Ich habe nichts getan“. Schließlich gelingt es Nichols sich loszureißen und zu Fuß zu fliehen. Der Versuch eines Beamten, ihn mit einem Elektroschocker aufzuhalten, schlägt fehl.

          Brutal mit Fäusten und Schlagstock geschlagen

          Nichols wird an einer anderen Straßenkreuzung von Beamten gefasst. Aus drei verschiedenen Perspektiven, aufgenommen von den Körperkameras der Beamten sowie von einer festinstallierten Kamera an einer Straßenlaterne, ist zu sehen, was sich dann abspielt. Mehrere Beamte halten Nichols fest, während ihn andere Polizisten mehrmals brutal mit Fäusten und einem Schlagstock schlagen. In einem Video sieht es so aus, als sprühe ihm ein Polizist etwas ins Gesicht. Nichols stöhnt und jammert. Mehrmals ruft er laut nach seiner Mutter.

          In einer anderen Einstellung ist zu sehen, wie zwei Polizisten Nichols' Oberkörper hochhalten, während ihm ein dritter Beamter gegen den Kopf tritt. Danach schleifen die Einsatzkräfte den schwer verletzten Nichols zu einem nahen Einsatzfahrzeug und lehnen seinen Oberkörper gegen die Seite des Wagens.

          Empörung und Demonstrationen

          Das Video hat vielerorts für Empörung gesorgt. Demonstranten blockierten am Abend friedlich eine wichtige Autobahn, die durch Memphis führt. Viele hielten Schilder hoch, auf denen „Gerechtigkeit für Tyre“ geschrieben stand. Auch in anderen Städten versammelten sich Menschen, unter anderem in Washington und New York, wo mehr als 200 Demonstranten Gerechtigkeit für Nichols forderten. Überall in den Vereinigten Staaten hatten sich die Behörden auf mögliche Ausschreitungen vorbereitet; Berater von Präsident Joe Biden telefonierten deshalb mit den Bürgermeistern von 16 Städten.

          Die von den am Körper getragenen Kameras der Polizisten zeigen deren tödlichen Angriff auf Tyre Nichols.
          Die von den am Körper getragenen Kameras der Polizisten zeigen deren tödlichen Angriff auf Tyre Nichols. : Bild: EPA

          Biden sagte am Abend, er habe das Video gesehen und sei schockiert. Er habe mit Nichols' Familie telefoniert und ihnen sein Beileid ausgedrückt. Der Vorfall erinnere an die tiefe Angst, das Trauma, den Schmerz und die Erschöpfung, die viele schwarze Amerikaner und Amerikanerinnen jeden Tag verspürten, sagte Biden. Die Mutter RowVaughn Wells sagte dem Fernsehsender CNN unter Tränen, die Polizisten hätten ihren Sohn "zu Brei geschlagen". Sie fragte: "Wo war die Menschlichkeit?" Zugleich rief auch sie dazu auf, dass die Proteste friedlich bleiben sollten.

          Auf dem Video ist auch der Schatten eines Mannes zu sehen, der mit einem Schlagstock auf Nichols einprügelt.
          Auf dem Video ist auch der Schatten eines Mannes zu sehen, der mit einem Schlagstock auf Nichols einprügelt. : Bild: AP

          Im Fall Nichols wurden fünf der beteiligten Polizisten, die nach dem Vorfall vom 7. Januar entlassen wurden, am Donnerstag wegen Mordes und anderer Straftaten angeklagt. Nachdem das Video veröffentlicht wurde, gab der Sheriff des Bezirks bekannt, dass zwei seiner Beamten, die ebenfalls am Tatort waren, vom Dienst freigestellt worden seien. Es laufe eine interne Untersuchung. Auch gegen zwei Einsatzkräfte der Feuerwehr werde ermittelt, berichtete der Sender CNN.

          Tödliche Polizeigewalt gegen Schwarze

          Der Fall ist auch deswegen brisant, weil Nichols schwarz war und es in den USA immer wieder zu tödlicher Polizeigewalt kommt, der überwiegend schwarze Menschen zum Opfer fallen. Die Anwälte der Familie prangerten rassistisches Vorgehen der Polizei gegen Schwarze im Land an. Die fünf angeklagten Ex-Polizisten sind ebenfalls schwarz. Ein Vorstandsmitglied der Black Lives Matter-Bewegung sagte dazu am Abend in einer Mitteilung, jeder, der in einem System arbeite, das staatlich sanktionierte Gewalt anwende, mache sich der Aufrechterhaltung weißer Vorherrschaft mitschuldig. Assimilation in ein anti-schwarzes System sei eine der gefährlichsten Waffen weißer Vorherrschaft, hieß es.

          In der Vergangenheit haben derartige Übergriffe wiederholt heftige Proteste im ganzen Land ausgelöst. So führte die Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch den weißen Polizisten Derek Chauvin im Mai 2020 zu landesweiten Demonstrationen und teils gewaltsamen Ausschreitungen. Nichols' Fall wird auch oft mit dem Angriff auf Rodney King verglichen. King war 1991 in Los Angeles brutal von der Polizei verprügelt worden. Anders als Nichols überlebte King jedoch schwer verletzt. In schwarzen Familien in den Vereinigten Staaten ist es üblich, dass Eltern ihren Kindern besondere Verhaltensregeln beibringen, um deren Überlebenschancen bei einer Konfrontation mit der Polizei zu erhöhen.

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