
Urteil zur Fünf-Prozent-Klausel : Immer auf die Großen
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Das Urteil des gespaltenen Karlsruher Senats soll wohl europafreundlich sein, ist es aber nicht unbedingt. Das Europäische Parlament wird mit der Abschaffung der Fünf-Prozent-Klausel eher destabilisiert, der deutsche Einfluss wird sinken.
Noch hat sich die politische Klasse nicht vom letzten Karlsruher Kinnhaken erholt, da setzt es schon den nächsten Stüber: Während man sich in Berlin noch Gedanken über die Eilentscheidung macht, das Parlament dürfe wesentliche Beschlüsse zur Euro-Rettung nicht an ein geheim tagendes Neuner-Gremium ausgliedern, reißt Karlsruhe einen Pfeiler des Europawahlrechts ein. Nur des Europawahlrechts?
Bisher ja. Hier fällt die Fünf-Prozent-Hürde - und damit dürfen demnächst nicht nur die schwedischen Piraten, sondern auch die deutschen Störtebekers in Brüssel vor Anker gehen. Doch die Debatte, wie das künftig mit der Sperrklausel in Bund und Ländern ist, dürfte weitergehen.
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Das passt in eine Zeit, die nach mehr Beteiligung der Bürger an der politischen Willensbildung ruft. Zwar geht es hier oft um Phantomschmerzen. Die Teilhabemöglichkeiten des Einzelnen sind mitnichten gering - das gilt auch für Großprojekte wie "Stuttgart 21". Gleichwohl gibt es offenbar Ohnmachtsgefühle. Sie werden von den Parteien aufgegriffen; dabei sind sie Teil des Problems: Auch das Karlsruher Urteil zum Europawahlrecht ist eines gegen die etablierten, jetzt aufjaulenden Parteien. Mehr Gleichheit, mehr Teilhabe, mehr Diskurs ist auch hier das Motto. Doch darf man daran erinnern, dass die Gestaltung des Wahlrechts keine Karlsruher Domäne, sondern Sache des Gesetzgebers ist - der freilich gerade auf diesem Feld dem demokratischen Prinzip möglichst uneingeschränkt Raum geben muss.
Und was heißt das für Deutschland in Europa? Das Urteil des gespaltenen Senats soll wohl europafreundlich sein, ist es aber nicht unbedingt. Wer das Europäische Parlament für eine vollwertige Völkervertretung hält, muss sich fragen lassen, ob es mit der Abschaffung der Fünf-Prozent-Klausel nicht eher destabilisiert wird.
Auch der deutsche Einfluss dürfte nicht größer werden, wenn aus dem größten Land, das ohnehin im Europaparlament alles andere als angemessen repräsentiert ist, nun noch einige, womöglich nicht fraktionsfähige Vertreter von Kleinstparteien einziehen. Richtig ist aber auch: Stabilität ist ein wichtiger Wert, dem aber eher etwas Autoritäres denn Demokratisches anhaftet. Stabilität kann auch zu geschlossenen Gesellschaften, zu Autismus führen. Und genau das ist heute ein Problem Europas.