Unruheprovinz Tibet : „Den Dalai Lama als gewaltlos zu bezeichnen, ist ein Witz“
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Gallionsfigur der Tibeter: Tendzin Gyatsho, der aktuelle Dalai Lama Bild: AFP
Wieder kommt es zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Chinesen und Tibetern. Bei Protesten sind wohl mehrere Menschen ums Leben gekommen. Der Dalai Lama spricht schon länger von „Genozid“. Nun äußert sich der zuständige Minister für Tibet.
Immer wieder kommt es in Tibet zu Selbstverbrennungen. Exiltibetischen Angaben zufolge waren es schon 15 Selbstverbrennungen in weniger als einem Jahr. Sie seien Ausdruck der Verzweiflung, sagt der Dalai Lama. Die Tibeter wollten dadurch auf die Unterdrückung in den Klöstern der Region aufmerksam machen.
Zhu Weiqun kann bei solchen Aussagen nur den Kopf schütteln. „Das ist doch billige Propaganda“, sagt Zhu. „Wir respektieren und schützen die Religionsfreiheit.“ Mit „wir“ meint Zhu die chinesische Regierung in Peking. Denn Zhu Weiqun ist Vizeminister der Einheitsfront im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei China und innerhalb der chinesischen Regierung zuständig für Tibet. Regelmäßig reist Zhu nach Tibet, erst vergangene Woche war er wieder dort und machte sich selbst ein Bild von der Lage.
An diesem nasskalten Tag ist Zhu jedoch nach Berlin gekommen. Mit im Gepäck hat er viele Zahlen und Statistiken, die allesamt seine Aussagen belegen sollen. Er lehnt sich zurück und zählt auf: Allein in den Jahren von 2006 bis 2010 habe die Regierung 137 Milliarden Yuan (umgerechnet knapp 17 Milliarden Euro) in Tibet investiert. Und im nächsten Fünfjahresplan von 2011 an seien gar Investitionen von 330 Milliarden Yuan geplant. „Das Bruttoinlandsprodukt, das Durchschnittseinkommen und die Lebenserwartung der Tibeter sind allesamt gestiegen.“ Wie könne der Dalai Lama da ernsthaft behaupten, die Lage in Tibet sei schlecht, die tibetische Bevölkerung würde gar aussterben. „Im Gegenteil. Die Bevölkerungszahl stieg seit der Befreiung 1951 von einer Million auf drei Millionen an.“ Den Einwand, dies seien vor allem zugezogene Han-Chinesen, lässt Zhu nicht gelten. In erster Linie handele es sich um Tibeter, aber natürlich auch um andere ethnische Gruppen wie Han oder Hui. So genau könne man das nicht trennen, schließlich lebten zehn verschiedene Ethnien in Tibet.
Der Westen hänge an den Lippen des Dalai Lama
Schon zu Beginn des Gesprächs mit dem chinesischen Vizeminister wird klar, neben allerlei Statistiken hat er vor allem eines dabei: Zeit. Immer wieder wird der chinesischen Regierung vorgeworfen, sich zu den Themen Tibet oder Dalai Lama nur widerwillig und äußerst einsilbig zu äußern. Zhu will das ändern. Es sei dringend notwendig, so Zhu, endlich einige Dinge richtig zu stellen. Der Westen hänge zu sehr an den Lippen des Dalai Lama. Dabei sei dessen Strategie doch sehr durchschaubar.
Jahrzehntelang war der Dalai Lama politischer und geistiger Führer der Tibeter. In den 60er und 70er Jahren hat er immer wieder lautstark die Unabhängigkeit Tibets gefordert, doch seit 1988 spricht er von einer „Politik des Mittelwegs“. Das Wort „Unabhängigkeit“ ist aus seinen Reden verschwunden, sein Ziel ist nunmehr eine „kulturelle Autonomie“ für Tibet. Für Zhu ist das reine Wortspielerei, der Dalai Lama verfolge nach wie vor die Unabhängigkeit.