F.A.Z. Woche : Zwischen Mann und Frau
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Bereits Drei- oder Vierjährige merken demnach unter Umständen, dass das Zuweisungsgeschlecht nicht mit der eigenen Wahrnehmung der Geschlechtszugehörigkeit übereinstimmt. Leid bereitet ihnen dann nicht nur die fremde Zuweisung des Geschlechts, sondern auch die fehlende Akzeptanz nach einem „Coming out“: Gleichaltrige, Freunde und Familienmitglieder mobben; Pädagogen, Mediziner, Psychologen und Arbeitgeber diskriminieren.
„Nach wie vor sind viele Betroffene mit gesellschaftlichem und familiären Unverständnis konfrontiert“, weiß Rupert Lanzenberger von der Medizinischen Universität Wien. Viele Angehörige werfen ihnen demnach vor, sich die Transidentität lediglich einzubilden. Sie hätten Hirngespinste und sollten doch bitte wieder zur Vernunft kommen, heißt es. Oft könne die These einer vorgeburtlichen Geschlechtsdifferenzierung im Hirn, die der Geschlechtsidentität zugrunde liegt, entlastende Wirkung zeigen: „Etwa wenn sich Eltern den Vorwurf einer falschen Erziehung als Ursache für die Transidentität ihres Kindes machen. Oder wenn sie Bedenken haben, ihr Kind könnte sich beim Spielen mit transsexuellen Kindern das gesehene Verhalten aneignen“, sagt Lanzenberger.
In einer Studie, die in der Fachzeitschrift „The Journal of Neuroscience“ erschienen ist, konnten der Wissenschaftler und seine Kollegen mittels Magnetresonanztomographie zeigen, dass es bereits vor Beginn einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie Unterschiede in der Verschaltung von Hirnabschnitten zwischen Trans-Personen und Cisgender-Personen gibt. Trans-Personen nahmen eine Mittelstellung zwischen den beiden Geschlechtern ein. Das deutet für die Forscher darauf hin, dass sich die Geschlechtsidentität in der Struktur von Hirnnetzwerken widerspiegelt, die sich im Laufe der Entwicklung des Nervensystems unter dem Einfluss von Geschlechtshormonen ausbildet.
Der Neurowissenschaftler Dick Swaab sieht das ähnlich: Da sich die Geschlechtsorgane in den ersten zwei Monaten einer Schwangerschaft ausbilden, aber die im Hirn verankerte Geschlechtsidentität sich erst in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft entwickelt, können sich diese zwei Prozesse unabhängig voneinander entwickeln. Demnach sei die Geschlechtsidentität keinesfalls durch eine soziale Umgebung nach der Geburt beeinflussbar. Vielmehr sei sie im fötalen Hirn festgelegt, heißt es im Fachmagazin „Frontiers in Neuroendocrinology“.
„Die Betroffenen möchten ein Leben in einer Rolle führen, in der sie sich wohl fühlen, die zu ihnen passt, und so, wie sie ,sind'. Und das, was sie sind, hängt nun einmal nicht von der äußeren Erscheinung oder der Erziehung ab, sondern ist in der Hirnentwicklung angelegt“, fasst Lanzenberger zusammen. Das klingt einfühlsam. Auch wenn manche Betroffene zweifeln, was solche Untersuchungen bringen. Sie fragen sich, warum ein Leben entsprechend der Geschlechtsidentität eigentlich mit komplizierten Wegen und Hürden einhergeht - und ob man sich dafür wirklich wissenschaftlich rechtfertigen muss.