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Standesbeamte vor dem Burn-out : Ein Aufgebot zum Unglücklichsein

Nicht immer eine heile Welt: Eheschließung in Deutschland Bild: dpa

Ob Scheinehe oder Scheinvaterschaft – für Standesbeamte birgt der Arbeitsalltag immer größere Herausforderungen, nicht nur wegen der steigenden Zahl der Migranten. Aber wertgeschätzt wird ihre Arbeit nicht.

          3 Min.

          Standesbeamte beurkunden das Leben. Von der Wiege bis zur Bahre sind sie sein amtlicher Begleiter. Richtig spannend aber ist alles, was zwischen dem Anfang von allem und dem Ende zu regeln ist – und so rückt ein Berufsstand in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Veränderungen in Zeiten von Migration und Flüchtlingskrise. Der Bundesverband der Standesbeamten formuliert die damit verbundenen Herausforderungen noch recht zurückhaltend so: „Durch die fortschreitende Globalisierung und durch die immer weiter steigende Mobilität der Bevölkerung stehen die Standesbeamtinnen und Standesbeamten vor der Herausforderung, nicht nur das frühere und heutige deutsche, sondern auch das ausländische Ehe-, Familien- und Namensrecht einschließlich des internationalen Privatrechts aller Staaten, deren Angehörige die Dienste des Standesamtes benötigen, kennen zu müssen.“ Im Alltag gilt: Leichter gesagt als getan.

          Carsten Knop
          Herausgeber.

          Der Verband kennt noch ein paar Anforderungen mehr. Denn darüber hinaus seien Kenntnisse des Lebenspartnerschaftsrechts, des Ausländer-, des Staatsangehörigkeitsrechts und schließlich auch über die Meinung der wichtigsten Kommentatoren und Entscheidungen der obersten Gerichte erforderlich, heißt es von den Lobbyisten derjenigen, die in Deutschland Jahr für Jahr gut 400.000 Ehen beurkunden. In der Praxis verbergen sich dahinter allzu häufig handfeste Schwierigkeiten, von denen nur wenige etwas ahnen.

          Wenn die Alarmglocke verhallt

          Wenn ein Standesbeamter, der lieber anonym bleiben möchte, über seine Arbeit redet, klingt das so: „Ein ausreisepflichtiger Tunesier hatte sich eine alte vermögende Deutsche geangelt und kassierte noch nebenbei 380 Euro monatlich.“ Dem Beamten schien das verdächtig – die Alarmglocke „Scheinehe“ läutete in seinem Kopf: „Ich wollte die Heirat herauszögern, damit er abgeschoben werden kann.“ Das aber erwies sich als Hirngespinst: „Heute rief die Deutsche an und fragte, wann sie heiraten könnten. Leider hat auch eine weitergehende Prüfung meinerseits keinen Verdacht auf Scheinehe bestätigen können. Ein Richter in Deutschland würde meine Zweifel einfach vom Tisch fegen. Also sah ich mich gezwungen, einen Termin anzubieten.“

          So weit, so gut – oder, aus der Perspektive des Standesbeamten: schlecht: „Ich dachte, wenn ich denen erst ab Mitte Oktober einen Termin anbiete, wird er ja vorher abgeschoben. Aber leider ist die Gesetzeslage mittlerweile so, dass Ausreisepflichtige in Deutschland bleiben dürfen, wenn sie einen standesamtlichen Termin haben.“ Was dann kam, war Ärger: „Der Mitarbeiter von der Ausländerbehörde war recht sauer auf mich, weil er mich gebeten hatte, das Ganze so lange wie möglich zu verzögern.“ Aber wie, fragt sich der Beamte noch immer: „Eine Einzelbefragung der beiden brachte auch keine Diskrepanz. Ich möchte einfach nicht mehr. Ich werde wohl im Oktober zum Arzt gehen und mir einen Burn-out bestätigen lassen. Das Maß ist bei mir voll.“

          Mit dem Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht habe der Gesetzgeber zudem einen untauglichen Versuch unternommen, „Scheinvaterschaften“ einzudämmen. Der Standesbeamte könne wenig tun, wenn die erschienenen Beteiligten einfach erklärten, die Erzeuger des Kindes zu sein. Der Gesetzgeber vertraue praxisfern darauf, dass das schon so stimme, statt einen Vaterschaftstest zu verlangen.

          Selten gebe es in solchen und vergleichbaren Fällen gültige Papiere, oft jedoch unangenehme Diskussionen. In der Tendenz würden die „Kunden“ in den Standesämtern schwieriger – und zwar, das ist wichtig, ganz unabhängig davon, ob es einen Migrationshintergrund gibt oder nicht. Wer mit Standesbeamten redet, erfährt, dass die Polizei inzwischen ein durchaus regelmäßiger Gast ist. Die Arbeitsbelastung steigt, in kleineren Gemeinden erst recht – dort haben die entsprechenden Angestellten häufig noch zusätzliche Aufgaben etwa beim Bürgeramt oder in der Friedhofsverwaltung zu übernehmen. Wirklich verbeamte Standes„beamte“ gibt es auch immer seltener. Häufig hat man es mit Angestellten zu tun, die von ihrer Gemeinde obendrein zu selten auf Fortbildungen (die in diesem Berufsstand übrigens selbst organisiert werden) geschickt und im wahrsten Sinne des Wortes zu wenig wertgeschätzt werden.

          „Zu wenig Zeit.“ „Massives Arbeitsaufkommen.“ „Unterdurchschnittliche Bezahlung.“ „Bestechungsversuche.“ „Bedrohen ohne Zeugen im Raum.“ – Solche Klagen hört man im Gespräch immer wieder. Denn es geht um viel, um Weichenstellungen für ein Leben: Darf man in Deutschland bleiben, oder muss man wieder gehen? Vielleicht ist es wie beim Arzt. Denn auch die Ärzte hatten erst vor wenigen Tagen von zunehmend rauhen Sitten in Arztpraxen und Kliniken berichtet. Was sich die Standesbeamten wünschen? „Eine bessere Aus- und Weiterbildung.“ „Mehr Rückendeckung von der deutschen Rechtsprechung.“ „Die Möglichkeit, gefälschte Dokumente besser erkennen zu können.“ Und: „Eine Anmeldung zur Eheschließung sollte keine aufschiebende Wirkung für eine Abschiebung mehr haben.“ Das Wohlwollen des Staates werde einfach viel zu häufig von weniger wohlmeinenden Menschen ausgenutzt.

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