Staatsstreich in Ägypten : Die gestohlene Revolution
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Die nächtlichen Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern des gestürzten Präsidenten Mursi verliefen gewalttätig Bild: AP
Das neue Bündnis der ägyptischen Demokraten mit Schergen des alten Regimes ist gefährlich. Wenn Linke und Liberale nicht bald zivile Institutionen aufbauen, wird die Armee als alleiniger Gewinner aus der langen Revolution hervorgehen.
Vorbei und aus ist es. Am Wochenende zerschlug der neue Staatschef Ägyptens auch die letzte Institution, die nach der Revolution gegen Husni Mubarak vom Volk gewählt worden war. Den Schurarat, einst nur eine belanglose beratende Kammer und zum Schluss das Abnickorgan Muhammad Mursis, gibt es nicht mehr. Interimspräsident Adli Mansur löste das ägyptische Oberhaus einfach auf. Es war seine erste Amtshandlung.
Schade um das islamistisch dominierte Notparlament ist es nicht – nicht einmal jeder zehnte wahlberechtigte Ägypter gab Anfang 2012 überhaupt seine Stimme ab, als darüber entschieden wurde. Legitimität sieht anders aus.
Doch zweieinhalb Jahre, nachdem Millionen gegen staatliche Bevormundung, Repression und Armut auf die Straße gingen, gibt es nun gar kein Organ mehr, das vom Willen des Volkes getragen wäre. Alle Macht liegt seit dem kalten Staatsstreich von Mittwoch in den Händen einer Marionette des Militärs: Adli Mansur heißt der Nachfolger Mursis, ein 67 Jahre alter Staatsrechtler, von Mubarak persönlich vor mehr als zwei Jahrzehnten zum stellvertretenden Leiter des höchsten Gerichts des Landes ernannt. Ein demokratischer Hoffnungsträger ist Mansur nicht, im Gegenteil: Der Herr über Legislative und Exekutive ist zugleich Chef des Verfassungsgerichts, mehr Gewalt in einer Hand geht nicht.
Der Putsch bleibt ein Umsturz
Sicher, Ägyptens Opposition pocht darauf, nach Mubarak auch Mursi zu Fall gebracht haben. Nicht das Militär, nicht die von Armeechef Abd al Fattah al Sisi geführten, als neutrale Instanz geachteten Streitkräfte, sondern das Volk habe den erst vor einem Jahr gewählten Muslimbruder in einer zweiten Revolution weggefegt. Und es stimmt: Ohne die 15 Millionen Menschen, die zum ersten Jahrestag des Machtantritts Mursis im ganzen Land auf den Straßen waren, hätte die Armee möglicherweise nicht eingegriffen. Aber ohne Intervention der Generäle wäre der Islamist heute noch immer im Amt – allem Volkswillen zum Trotz.
Die Entscheidung zum Sturz Mursis traf die Militärführung Tage vor den Massenprotesten, und ihr Putsch bleibt ein Umsturz, auch wenn die Opposition die Ziele des kalten Staatsstreichs teilen mag, der das temporäre Bündnis der Armee mit den Islamisten nach gerade einmal einem Jahr beendete.
Wie lange die neue Allianz mit den Revolutionären der ersten Stunde halten wird, steht in den Sternen. Nach dem Sturz Mubaraks glaubten viele auf dem Tahrir-Platz, der Hauptfeind stünde im Lager des Militärs; nur gemeinsam mit den Islamisten ließen sich die Überbleibsel des alten Regimes beseitigen. Wenige Monate unter der Ägide der Muslimbrüder belehrten sie eines Besseren: Mit dem politischen Islam ist kein Staat zu machen.
Eine dreckige Allianz
Schon im Winter wechselte die Revolutionsjugend die Seiten. Die Art und Weise, wie Mursi im vergangenen Dezember die neue Verfassung durchpeitschte, brachte das Fass zum Überlaufen. Für Andersdenkende war im neuen Ägypten der Muslimbruder kein Platz, so viel war klar. Ausländische Investoren traten den Rückzug aus Kairo an, das einheimische Großkapital begann die neuen Herrscher mit allen Mitteln zu behindern. Dass die Treibstoffkrise in den Tagen vor den Massenprotesten ihren Höhepunkt erreichte, war kein Zufall: Seit dem Sturz Mursis sind die Schlangen vor den Tankstellen wieder verschwunden.
Der Versuch aber, die Fehler der ersten Revolution durch einen simplen Wechsel des Koalitionspartners zu korrigieren, könnte für die Claqueure von Armeechef Sisi noch bitter enden. Denn auch im Post-Mursi-Ägypten wedelt der Schwanz nicht mit dem Hund: Dass die Generäle sich auf den neuen Pakt eingelassen haben, hat mit deren ureigenen Interessen zu tun, nicht mit plötzlicher Liebe für Partizipation und Rechtsstaat.
Mehr als eine Milliarde Dollar jährlich aus dem Pentagon in Washington stehen auf dem Spiel, und ein Wirtschaftsimperium, das rund 15 Prozent des Bruttoinlands ausmacht. Dafür posiert selbst der Armeechef gerne einmal neben Demokraten für die beunruhigte Weltpresse.
Eine dreckige Allianz bleibt das neue Bündnis dennoch: um ihre Revolution gebrachte Tahrir-Platz-Idealisten im Bunde mit den Schergen des tiefen autoritären Staats; Mubaraks entmachtete Eliten im selben Boot wie ihre Gegner von einst. Dass die Auflösung des Oberhauses Mansurs erste Amtshandlung war, spricht Bände. Zuvor hatte Armeechef Sisi schon die Verfassung außer Kraft gesetzt. Um die Verhaftung führender Kader der Muslimbruderschaft kümmert sich derweil der alte repressive Sicherheitsapparat.
All das sind keine Ziele, für die Millionen Ägypter im Winter 2011 und diesem Sommer auf die Straße gingen. Wenn sie ihre gestohlene Revolution nicht bald von den Militärs zurückzuerobern, wird das Land noch lange neben der Spur bleiben.