Syrien-Konflikt : Eingreifen erlaubt
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Bild: Greser & Lenz
Der Schutz elementarer Menschenrechte ist längst neben das Gewaltverbot getreten - und ein Angriff auf Syrien zum Schutz der Opfer daher zulässig.
Glaubt man den meisten Äußerungen deutscher Völkerrechtslehrer zu einem Militärschlag gegen Syrien, könnten sich die Gewalthaber in Damaskus und anderswo in der Welt bei ihrem Treiben im Schutz des völkerrechtlichen Gewaltverbots wähnen: Dann wäre der Schutz der territorialen Souveränität nach der UN-Charta vor dem gewaltsamen Vorgehen anderer Staaten (Artikel 2 Nr. 4) absolut, solange der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nicht zu einem militärischen Eingreifen ermächtigt. Ein Veto Russlands oder der Volksrepublik China im Sicherheitsrat würde einen unübersteigbaren Schutzzaun um massive Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Völkermord oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen errichten.
Allerdings haben neuere Entwicklungen dafür gesorgt, dass sich im Völkerrecht andere Grundsätze Bahn brechen, die den Schutz einer geschundenen Bevölkerung nicht mehr allein dem Sicherheitsrat überlassen. Ebendiese Grundsätze stehen hinter der völkerrechtlichen Diskussion um die humanitäre Intervention als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund für militärische Einsätze außerhalb eines Sicherheitsratsmandats.
Menschenrechte Fundament der internationalen Ordnung.
Der Schutz elementarer Menschenrechte vor systematischer Verfolgung ist als Grundwert in der Völkerrechtsordnung längst neben das Gewaltverbot getreten. Die Menschenrechte bilden nicht nur ein Leitthema der UN-Charta. In ihrem Kern gehören die Menschenrechte ebenso wie der Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten zum zwingenden Völkerrecht und damit zum Fundament der gesamten internationalen Ordnung.
Die innere Konsistenz dieser Ordnung verlangt eine Relativierung des Gewaltverbotes, sei es durch Beschränkung der territorialen Souveränität, eine Ausweitung des kollektiven Selbstverteidigungsrechts zugunsten geschundener Bevölkerungsteile oder eine offene Abwägung. Eine breite Strömung der Völkerrechtslehre, aber auch eine Reihe westlicher und anderer Regierungen hat schon vor der humanitären Intervention im Kosovo-Konflikt bei Völkermord und ähnlich schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen einseitige Schutzgewährung durch militärische Gewalt als gerechtfertigt angesehen.
Beispiel Kosovo
Die etwa zwanzig Nato-Staaten, die sich im Frühjahr 1999 am militärischen Schutz der albanischen Minderheit gegen serbischen Terror beteiligt haben, stehen seit jeher der völkerrechtlichen Wertordnung als Handlungsmaxime näher als die meisten Regierungen, welche die Intervention aus humanitären Gründen kategorisch ablehnen - oft genug aus Angst um den Bestand der eigenen Gewaltherrschaft. Auch wenn die damalige rot-grüne Bundesregierung keinen „Präzedenzfall“ schaffen wollte, hat sie genau dies mit ihren Partnern getan. Inzwischen behauptet kaum noch jemand ernsthaft, die damalige Bundesregierung habe einen „Angriffskrieg“ (der nach Artikel 26 des Grundgesetzes verboten ist) unternommen. Selbstverständlich sind Besorgnisse um einen Missbrauch der humanitären Intervention als Eingriffstitel ernst zu nehmen; sie stehen auch hinter einer immer wieder zitierten Erklärung der zahlreichen „blockfreien“ Staaten. Aber das Verständnis der völkerrechtlichen Wertordnung darf nicht vom möglichen Missbrauch her gedacht werden.
Auf einer anderen, politischen Ebene liegen bei jeder militärischen Intervention die Folgenabschätzung und die Frage nach tauglichen „Partnern“ der handlungswilligen Staaten. Im Lichte der bisherigen Erfahrungen - vom Kosovo über Libyen bis jetzt zu Syrien - liefert eine parlamentarische Zustimmung heilsame Erklärungszwänge.