Stasi-Unterlagen-Gesetz : Geschichtsblind und inhuman - eine deutsche Reinigung
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Niemals vergessen? Die Neufassung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes verstößt gegen Grundwerte des Rechtsstaats. Gegen eine neue Überprüfung von Bürgern wegen MfS-Kontakten spricht, dass sie folgenlos bleiben muss.
Die jetzt vom Deutschen Bundesrat gebilligte Neuregelung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes durch den Bundestag bildet den letzten Höhepunkt des an Absurditäten nicht zu überbietenden Umgangs mit der Vergangenheit des DDR-Regimes. Die aktuelle Novelle stellt nunmehr alles in den Schatten, was in den vergangenen 20 Jahren an verfassungswidrigen Normen von den gesetzgebenden Körperschaften in Deutschland zur Vergangenheitsbewältigung beschlossen wurde. Verantwortlich für das Gesetz sind die Regierungsfraktionen von CDU und FDP, nachdem - erstmals in der Geschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes - große Teile der Opposition ablehnend votiert hatten.
Entgegen allen Erklärungen bei früheren Gesetzesnovellierungen wurde nicht der längst fällige Schlussstrich unter die Überprüfungspraxis im Hinblick auf Kontakte mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gezogen. Sie sollte eigentlich nach etwa 20 Jahren zum 31. Dezember 2011 auslaufen. Nunmehr wurde jedoch eine Verlängerung der Verjährungsfrist um weitere zehn Jahre bis zum 31. Dezember 2019 bestimmt.
Sage und schreibe 30 Jahre nach dem Untergang der DDR sollen sich Bürger allein deshalb einer Kontrolle unterziehen müssen, weil möglicherweise Kontakte zum MfS bestanden hatten. Zugleich wurde der zu überprüfende Personenkreis im öffentlichen Dienst erheblich ausgedehnt bis zur Besoldungs- beziehungsweise Entgeltgruppe A 9 oder E 9.
Die absolute Krönung der Neuregelung ist jedoch die sogenannte "Lex Jahn". Der seit Mitte des Jahres amtierende Leiter der Behörde des Bundesbeauftragten hatte seit Amtsantritt gefordert, dass die dort tätigen etwa 40 Mitarbeiter, welche zu Zeiten der DDR Kontakte zum MfS hatten, nunmehr endlich entfernt würden. Seine Vorgänger Gauck und Birthler hatten ihre Beschäftigung geduldet. Alle diese Mitarbeiter sind heute mehr als 20 Jahre ohne Beanstandung für die Behörde tätig. Da die Umsetzungsabsicht des neuen Behördenleiters arbeitsrechtlich nach einer so langen Zeit einwandfreien Verhaltens nicht mehr zu realisieren war, haben nunmehr die Regierungsfraktionen kurzerhand mittels Gesetz versucht, die Grundlage für eine Zwangsversetzung zu schaffen, um dem Reinigungswillen Rechnung zu tragen.
Die Überprüfung und Offenlegung von Unterlagen des MfS stellen einen erheblichen Eingriff in das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Nur wenn die Eingriffe einem plausiblen Gemeinwohlzweck dienen und die Eignung sowie vor allem Erforderlichkeit bejaht werden können sowie keine Zumutbarkeitsbedenken bestehen, könnte die Überprüfung auf Stasi-Unterlagen gerechtfertigt werden. Sämtlichen Anforderungen werden aber die nunmehr beschlossenen Regelungen nicht gerecht.
Es ist ein elementarer Grundsatz des Rechtsstaates, dass nach einer bestimmten Zeit rechtswidrige Verhaltensweisen nicht mehr geahndet und auch Personen nicht mehr geächtet werden können. Aus Gründen der Rechtssicherheit, des Rechtsfriedens wie auch wegen der Schwierigkeiten der Aufklärung nach Ablauf längerer Zeiträume kennt der Rechtsstaat das Institut der Verjährung. Sieht man von schweren Völkerrechtsverbrechen ab, so ist das Vergessen oberstes Gebot des Rechtsstaates nach dem Ablauf einer bestimmten Frist. Daran ändert auch die Sicht der Opfer nichts. Das Recht kann nicht nur aus deren Perspektive betrachtet werden. So verständlich der lebenslange Wunsch von Opfern nach Sühne ist, so erfordert andererseits der Rechtsstaat nach einer bestimmten Frist grundsätzlich das Abfinden mit den erlittenen Verletzungen.