Zurückweisung erlaubt : „Pushbacks“ in der Ägäis
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Sogenannte „Pushbacks“ sind nicht immer illegal. Bild: FAZ
Pauschal „illegale“ Pushbacks gibt es nicht, doch das Asylrecht ist auch nicht ganz eindeutig. Diese Lektion geht weit über die Ägäis hinaus.
Seit Monaten steht die europäische Grenzschutzagentur Frontex in der Kritik – wegen alarmierender Berichte über sogenannte „Pushbacks“ in der Ägäis. Die griechische Küstenwache hinderte Schlauchboote mit Migranten und Flüchtlingen daran, die griechischen Inseln zu erreichen, und soll vereinzelt Boote in türkische Gewässer zurückeskortiert haben. Schiffe und Flugzeuge von Frontex sollen an diesen Pushbacks jedenfalls am Rande beteiligt gewesen sein.
In einem bemerkenswerten Interview mit der F.A.Z. holte der Frontex-Exekutivdirektor Leggeri zum Gegenangriff aus, nachdem die Kommission in Brüssel und die Grenzschutzagentur in Warschau bisher auf eine Mischung aus Aufklärung und Beschwichtigung gesetzt hatten. Wenn der Verdacht der illegalen Einreise und des Menschenhandels bestehe, „kann Griechenland die Boote anweisen, ihren Kurs zu ändern“, und die Kursänderung notfalls auch erzwingen.
Juristisch ist die Situation keineswegs so eindeutig, wie die pauschale Bezeichnung der Pushbacks als „illegal“ suggeriert. Schwarz auf weiß heißt es in einer EU-Verordnung, auf die sich das Europäische Parlament und der Ministerrat im Jahr 2014 geeinigt hatten, dass Schiffe notfalls den Kurs zu ändern haben, wenn sich der Verdacht bestätigt, dass sie zur „Schleusung von Migranten“ benutzt werden. In der Ägäis ist das typischerweise der Fall. Legale Pushbacks sind nicht die Erfindung des Exekutivdirektors, sondern beruhen auf einem UN-Übereinkommen aus dem Jahr 2000, das die Staaten dazu auffordert, konsequent gegen Schlepper vorzugehen. Ganz in diesem Sinn wollen auch die EU-Verträge eine „verstärkte Bekämpfung“ der illegalen Einreise. Frontex wurde gegründet, um diese Ziele zu verwirklichen. Nun ist der Umstand, dass es „legale“ Pushbacks geben kann, kein Freibrief für generelle Zurückweisungen. Vielmehr umfassen das europäische Regelwerk und die Menschenrechte zugleich wichtige Vorgaben, die Migranten und Flüchtlinge schützen. Handlungsoptionen und Reformansätze ergeben sich aus vier Gegenargumenten, unter welchen Umständen die Pushbacks tatsächlich „illegal“ sind.
Erstens müssen Menschen in Seenot nach internationalem Seerecht gerettet werden. Das bestreitet niemand, und dennoch sind die Folgen in der Ägäis alles andere als eindeutig. Wann ein Schlauchboot in Seenot ist, hängt nämlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine Überfahrt von zwölf Kilometern nach Lesbos ist weniger gefährlich als über den offenen Atlantik zu den Kanaren. Speziell in der Ägäis wäre die Behauptung zu einfach, dass Schlauchboote generell seeuntauglich seien und jede Überfüllung eine Seenot begründe. Letztlich muss der Kapitän entscheiden. Auf diesen Spielraum beruft sich die griechische Küstenwache regelmäßig, um zu rechtfertigen, warum sie die Insassen eines Schlauchboots nicht an Bord holte.
Zweitens gilt das europäische Asylrecht auch an den Außengrenzen. Schiffe der Küstenwache müssen neben der erwähnten Verordnung aus dem Jahr 2014 auch die Asylverfahrensrichtlinie von 2013 beachten. Dort steht geschrieben, dass man einen Asylantrag auch „an der Grenze“ und „in den Hoheitsgewässern“ stellen kann. Erst kürzlich urteilte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg, dass alle staatlichen Behörden einen Asylantrag entgegenzunehmen verpflichtet sind. Grenzpolizisten müssen Antragsteller an die zuständigen Behörden weiterleiten. Diese Regeln ignoriert Frontex in seinen internen Untersuchungen nahezu vollkommen, obwohl sie zwingend zu beachten sind.