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Gastbeitrag : Roms Rechtsbruch

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Das italienische Verfassungsgericht bedient sich eines wenig überzeugenden Kunstgriffs, indem es zunächst die Kompetenz des IGH anerkennt.

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          „Jedes Mitglied der Vereinten Nationen verpflichtet sich, ... die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zu befolgen“ - mit diesen eher dürren Worten umschreibt Artikel 94 der UN-Charta eine der wesentlichen Errungenschaften des modernen Völkerrechts: die Anerkennung der Herrschaft des Völkerrechts und die Pflicht, Urteile internationaler Gerichte umzusetzen. Es ist dieser eherne Grundsatz, der durch das italienische Verfassungsgericht am 22. Oktober 2014 fundamental in Frage gestellt wurde. Hintergrund ist die frühere Praxis italienischer Gerichte, Klagen wegen von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs begangener Kriegsverbrechen zuzulassen. Nachdem es in Italien zu ersten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen deutsches staatliches Vermögen gekommen war, hatte Deutschland 2008 vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geklagt. Mit 12:3 Stimmen gelangte der zu dem Ergebnis, dass sich ein Staat selbst dann auf seine Staatenimmunität berufen kann, wenn wie vorliegend, Kriegsverbrechen Gegenstand der Verfahren sind. In geradezu mustergültiger Weise hatte Italien dieses Urteil des IGH umgesetzt. Nunmehr hat aber das Verfassungsgericht dieses Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Es wendet sich damit diametral sowohl gegen den IGH als auch gegen den Vorrang des Völkerrechts als solchen. Die Corte constituzionale liegt damit auf einer Linie mit dem amerikanischen Supreme Court.

          Das italienische Verfassungsgericht bedient sich eines wenig überzeugenden Kunstgriffs, indem es zunächst die Kompetenz des IGH anerkennt. Die Gewährung von Staatenimmunität im Falle schwerer Völkerrechtsverstöße durch italienische Gerichte sei aber von der italienischen Verfassung verboten. Dem liegt eine überholte Sicht zugrunde, die das nationale Recht und das Völkerrecht streng voneinander scheidet. Zum einen führt ferner die Gewährung von Staatenimmunität ja keineswegs, wie vielfach übersehen, zum Verlust materieller Ansprüche. Vielmehr können diese jederzeit auf dem Wege der Ausübung diplomatischen Schutzes durch den jeweiligen Heimatstaat geltend gemacht werden. Zudem hatten die italienischen Kläger bereits vor deutschen Gerichten Rechtschutz erlangt und waren nur nicht mit der Behauptung durchgedrungen, im Falle von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht bestünden individuelle Schadenersatzansprüche. Diese Auffassung der deutschen Gerichte war später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gebilligt worden. Im Januar 2014 hat der EGMR zudem, dem IGH folgend, die Einräumung von Staatenimmunität, selbst im Falle von Folter, als menschenrechtlich zulässig angesehen. Einmal mehr belegt dies die Probleme, die sich fast schon zwangsläufig ergeben, wenn nationale (Verfassungs-)Gerichte sich auch in Grundrechtsfragen allzu sehr von einer nationalen Sicht der Dinge leiten lassen. Auch das angeführte Beispiel der Überprüfung bindender Beschlüsse des Sicherheitsrates durch den EuGH am Maßstab der EU-Grundrechte im Fall Kadi kann nicht überzeugen. Anders als im Fall Kadi geht es hier gerade nicht um die gerichtliche Kontrolle eines politischen Organs, sondern um die Überprüfung der Urteile des IGH am Maßstab nationalen Rechts.

          Was kann Deutschland jetzt tun? Die evidente Möglichkeit der Befassung des Sicherheitsrates, der nach der UN-Charta damit beauftragt ist, für die Durchsetzung der Urteile des IGH Sorge zu tragen, erscheint gegenüber einem EU-Partnerstaat kaum angezeigt. Vielmehr kommt stattdessen in Betracht, den IGH abermals zu befassen, sei es im Kontext der Auslegung des ursprünglichen Urteils, sei es im Rahmen eines neuen Verfahrens, in dem die Feststellung der Völkerrechtswidrigkeit des italienischen Urteils begehrt wird. All dies in der Hoffnung, dass Italien diesen Völkerrechtsverstoß aus dem Weg räumt.

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