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Gastbeitrag zum Gemeinwesen : Was wir dem Staat schulden: Leben, Eigentum, Steuern?

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Der Staat darf als letztes Mittel enteignen. Hier wird die Bindung des Einzelnen an das Gemeinwohl besonders deutlich, weil das Wohl der Allgemeinheit eine Enteignung erlaubt, auch wenn der Betroffene selbst den Bedarf gar nicht mitzuverantworten hat. Der Bürger hat das Heilmittel, und der Staat bedient sich. Daraus darf nicht der Schluss gezogen werden, dass dann erst recht eine weniger grundrechtsintensive Beschlagnahme von Wohnungen zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen zulässig ist, denn die Enteignung darf nur Ultima Ratio sein. Sie taugt nicht zum Knüppel aus dem Sack. Verfassungsrechtlich geboten ist eine Enteignungsentschädigung, die in der Regel den Markt- oder Verkehrswert ersetzt, aber bei guten Gründen auch dahinter zurückbleiben darf.

Andere Indienstnahmen Privater gegen deren Willen und ohne deren Verantwortlichkeit lassen sich dem Grundgesetz nicht explizit entnehmen. Viel spricht dafür, dass die Verfassung insoweit das letzte Wort gesprochen hat: „Grundpflichten“ sind fundamental und hätten ebenso wie die Grundrechte ihren Platz ausnahmslos in der Verfassung finden müssen. Das BVerfG ist anderer Auffassung: „Eine kategorische Trennung von ,Staatsaufgaben‘ und ,privaten Aufgaben‘ mit der Folge der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Indienstnahme für Gemeinwohlzwecke von Privaten auf deren Kosten lässt sich der Verfassung nicht entnehmen.“ Grundsätzlich sollen auch Private - und dies trifft vor allem die Unternehmen - auf deren eigene Kosten in den Dienst des Gemeinwohls gestellt werden dürfen. Das BVerfG fordert eine „hinreichende Sach- und Verantwortungsnähe zwischen der beruflichen Tätigkeit und der auferlegten Verpflichtung“. Eine Notstandslage wie im Fall der Wohnungseinweisung Obdachloser muss bei einer bloßen Verantwortungs- und Sachnähe nicht bestehen.

Es ist ein Wesenszug unserer Rechtsordnung, dass gerade die Unternehmen zu einem Scharnier zwischen Staat und Gesellschaft geworden sind, indem vielfältige staatliche Aufgaben einschließlich der damit verbundenen Kostenlast dorthin abgewälzt werden. Die Inanspruchnahme der Unternehmen geht noch über eine Solidarität zwischen Arbeitgebern untereinander und mit den Arbeitnehmern hinaus. Die Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechensbekämpfung müssen die Telekommunikationsunternehmen auf eigene Kosten vornehmen. Der Gesetzgeber macht sie - mit dem Segen Karlsruhes - für die Sicherheitsrisiken des Fortschritts haftbar. In einer frühen Entscheidung hat das Gericht die Verpflichtung der Erdölimporteure zur Bevorratung für den Krisenfall damit gerechtfertigt, dass sie aus freiem Entschluss auf einem von Importabhängigkeit und Krisenanfälligkeit geprägten Markt tätig geworden sind. Und immer wird die Möglichkeit der Kostenabwälzung auf den Markt hervorgehoben, um den Staat aus der finanziellen Verantwortung zu nehmen. Diese Rechtsprechungslinie bedarf einer Revision, weil sie der grundgesetzlichen Einhegung von Gemeinwohllasten nicht gerecht wird.

Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise hat der Gesetzgeber einen wenn auch grundrechtlich eingehegten Spielraum. Die Gemeinwohllasten im Normalzustand unserer Rechtsordnung sind besorgniserregender. Die Betroffenheit der Unternehmen mag die Vielzahl der Bürger nicht beunruhigen. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung, die das BVerfG anführt, betrifft uns alle. „Verantwortungs- und Sachnähe“ ist keine Grundlage für Verantwortlichkeit - und ohne Verantwortlichkeit darf der Staat seine Kosten nicht auf Private abwälzen. In ruhigen Zeiten sollte diskutiert werden, inwieweit Solidarität das Programm der Verfassung ist (Uwe Volkmann), damit Staat und Gesellschaft in unruhigeren Zeiten gewappnet sind.

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