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Gastbeitrag: Soziale Netzwerke : Gefahr für die Vielfalt?

  • -Aktualisiert am

Bild: Greser & Lenz

Eine offene Gesellschaft braucht Meinungsvielfalt. Die ist jedoch durch digitale Plattformen bedroht, die herrschende Ansichten verstärken.

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          Bei Facebook wurde vor einigen Wochen von einem Mitarbeiter offenbar die Frage gestellt, welche Verantwortung das soziale Netzwerk habe, einen Präsidenten Trump zu verhindern. Die Frage illustriert die Bedeutung digitaler Plattformen für die Meinungsbildung - denn in der Tat könnte eine Modifikation der auf Facebook angezeigten Nachrichten(reihenfolge) Wahlen beeinflussen. Einen möglichen Einfluss stellte (implizit) auch Facebook nicht in Abrede, als das Unternehmen seine neutrale Rolle hervorhob: Es werde seine Produkte nicht in einer Art nutzen (und habe dies auch nicht getan), die Einfluss auf individuelle Wahlentscheidungen zu nehmen versucht. Dann wurde aber der Vorwurf ehemaliger Mitarbeiter kolportiert, Facebook habe in Amerika die „Trending Topics“ zu Lasten von republikanischen Politikern zusammengestellt. Facebooks Dementi beruhigte die Diskussion kaum - woraufhin das Unternehmen seine Leitlinien offenlegte. Die vorgebliche Neutralität schwand damit ins Reich der Illusion. Vielmehr belegen die Leitlinien, dass Facebook eine quasi-redaktionelle Endkontrolle der algorithmisch ermittelten Trend-Nachrichten vornimmt - so etwa bei der in den Leitlinien beispielhaft abgebildeten Meldung über Papst Franziskus’ Stellungnahme zu Trump („Ich sage nur, dieser Mann ist kein Christ, wenn er solche Dinge sagt.“).

          Die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Meinungsbildung resultiert aus der Konzentration von Daten und Nutzern bei bestimmten Anbietern. Denkt man unwillkürlich an Bevorzugung und Unterdrückung von Meinungen, ist zu bedenken: Technik und Medien sind schon im Ausgangspunkt nicht neutral - richtigerweise können und sollen Medien das mit Blick auf ihre rechtlich abgesicherte Tendenzfreiheit auch gar nicht sein. Auswahl und Steuerung von Informationen sind somit kein Ausnahmefall, sondern vielmehr notwendiger Alltag (nicht nur) im Internet. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass der über solche kanalisierenden Intermediäre erfolgende Zugang zu Informationen ein weltweiter Wohlstands- und Bildungsfaktor ist - Beschränkungen des Zugangs in autoritären Staaten machen dies nur zu deutlich.

          Nichtsdestotrotz beeinflussen digitale Intermediäre zwangsläufig die Informationswahrnehmung der Nutzer. Eine Kanalisierung ist hierbei grundsätzlich durchaus erwünscht und sinnvoll: Suchmaschinen und Medienportale offerieren in Anbetracht der Informationsfülle eine populäre und oft hilfreiche Dienstleistung. Dabei gilt: Welche Inhalte und Meinungen - welche Welt - wir im Internet finden und wahrnehmen, bestimmt sich (auch diesseits von gezielten Eingriffen) vor allem anhand von Such- und Auswahlalgorithmen. Der „Herr“ über den Algorithmus ist zu einem guten Teil „Herrscher“ über die Meinungsbildung der Kunden: Wer den jeweiligen Algorithmus konfiguriert, trifft wesentliche Wertungsentscheidungen über die angezeigten Informationen. Das gilt zum Beispiel für die heikle Frage, was für Treffer bei Eingabe des Suchworts „Suizid“ aufgelistet werden.

          Die Such- und Auswahlalgorithmen orientieren sich vielfach vor allem an der von den Betreibern selbst definierten „Relevanz“. Soweit sich die Relevanz regelmäßig an Mehrheitspräferenzen ausrichtet, bedeutet dies eine sich selbst verstärkende Verzerrung zugunsten von beliebten Inhalten. Auf Wahlkämpfe übertragen folgt hieraus, dass ein entsprechender Algorithmus die zu Beginn des Wahlkampfs bestehende Mehrheitsmeinung begünstigt. Tendenziell positiv könnte sich das etwa für die Befürworter eines Verbleibs Großbritanniens in der EU auswirken: Denn zum Zeitpunkt der Ankündigung der Brexit-Abstimmung im Februar lagen die Befürworter in den Umfragen knapp vorne.

          Eine weitere Entwicklung verstärkt seit längerem die Kanalisierung von Informationen: Digitale Intermediäre (wie auch andere Diensteanbieter) werten umfassend das Nutzerverhalten aus. Ziel ist hierbei eine „Optimierung“ des Angebots. Der Einzelne soll ein „individuelles“, auf die zuvor ermittelten Präferenzen abgestimmtes Angebot erhalten. In diesem Sinne setzen manche Zeitungs-Websites bereits eine Nutzerpräferenzen-spezifische Artikelauswahl ein. Dieser „Komfort“ ist allerdings nur auf den ersten Blick eine uneingeschränkt positive Entwicklung. Medienwissenschaftlich höchst interessant ist, ob und in welcher Form die Anbieter durch personalisierte Angebote bestehende Meinungspräferenzen verfestigen. Bildhaft gesprochen wird schon länger vermutet, dass sich die Rezipienten in „Filter-Blasen“ und „Echo-Kammern“ wiederfinden. Treffen diese Vermutungen zu, droht als Folge eine Verengung der Wahrnehmung auf schon in den Präferenzen gespiegelte Meinungen. Andere, abweichende oder neuere Ansichten hätten eine entsprechend reduzierte Wahrnehmbarkeitschance. Eine individuell zusammengestellte Medienseite böte dem Leser keine valide Aussage mehr über die gesellschaftliche Bedeutung eines Themas. Vielmehr würde nur noch der eigene vorherige Konsum von (Mehrheits-)Meinungen zementiert. Wer stets die Artikel des Wirtschaftsteils liest, wird bald vorrangig solche in der „ersten Reihe“ finden. Das mag man angenehm und praktisch finden - oder aber besorgniserregend und gefährlich.

          Ist nach alledem also die individualisierte Informationswahrnehmung eine wünschenswerte Ausrichtung am Nutzer oder eine Gefährdung der Meinungsbildung? Auf den ersten Blick ist ein kontinuierlicher Konsum nur noch der Mehrheitsmeinungen tendenziell antipluralistisch. Zu Recht hat daher jüngst der Direktor des Saarbrücker Max-Planck-Instituts für Informatik, Gerhard Weikum, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf die Gefahren von „individuell“ zugeschnittenen Nachrichtenseiten hingewiesen. Denn eine Verengung des wahrnehmbaren Meinungsspektrums auf bestimmte Inhalte leistet einer weniger offenen Gesellschaft erheblichen Vorschub. Eine kritische Zivilgesellschaft muss sich damit auseinandersetzen. Betroffen ist der demokratische Prozess, der informierte und urteilsfähige Bürger voraussetzt. Einer identifizierten Gefährdung der Meinungsbildung und der Vielfaltssicherung muss deshalb rechtzeitig begegnet werden.

          Wie könnten geeignete Maßnahmen aussehen? Im geltenden Recht vermag diesen Gefährdungslagen zumindest teilweise durch eine entsprechende Auslegung des Datenschutz-, Vertrags- und Kartellrechts entgegengetreten werden. So könnte das Gefährdungspotential von personalisierten Angeboten vermehrt in die Bewertung von allgemeinen Geschäftsbedingungen einfließen. Stärker als bisher sollten Nutzerpräferenzen zudem eine entscheidende Rolle im Kartellrecht spielen. Nutzerprofile sind etwa für die Feststellung einer Marktbeherrschung relevant. Flächendeckende Datenschutzverstöße gehören ebenso in den Fokus des Kartellrechts - wie das gerade eingeleitete Verfahren des Bundeskartellamts gegen Facebook unterstreicht. Auch gesetzgeberisches Handeln kommt in Betracht. Hierfür könnten besondere wiederkehrende Hinweise auf personalisierte Angebote ein tauglicher erster Schritt sein. Überdies sollte über Vorschläge zu verpflichtenden Opt-in- oder Opt-out-Regeln für personalisierte Informationsangebote diskutiert werden. Warum sollten Nutzer nicht nach einem bestimmten Zeitraum deutlich und transparent gefragt werden, ob sie die personalisierte Zusammenstellung ihrer Nachrichtenspalte beibehalten wollen? Nicht aus dem Blick zu verlieren sind zudem die traditionellen Garanten der Pluralismus-Sicherung: So wird derzeit zu Recht darüber diskutiert, ob und wie viel „Vorfahrt“ öffentlich-rechtliche Medienangebote auf digitalen Plattformen (wie etwa Smart-TV-Angebote) haben sollten.

          Insgesamt gilt: Der Austausch von Meinungen ist der Wesenskern einer offenen Zivilgesellschaft. Jeglicher Lösungsansatz sollte deshalb das Ziel haben, die Meinungsvielfalt zu begünstigen und die für die Demokratie unerlässliche Meinungsbildung auch im Internet abzusichern. Der Umgang mit personalisierten Informationsangeboten bietet hierfür einen wegweisenden Lackmustest. Denn die Kanalisierung von Informationen durch Private ist und bleibt - neben den wirtschaftlichen Implikationen - eine besondere Herausforderung für die demokratische Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert.

          Professor Dr. Boris Paal ist Direktor des Instituts für Medien- und Informationsrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Dr. Moritz Hennemann ist dort Akademischer Rat.

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