Änderung des Grundgesetzes : Für eine gewaltenübergreifende Form des Umweltschutzes
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Katja Meier (links) setzt sich mit Dr. Till Steffen für die Verankerung des Klimaschutz im Grundgesetz ein. Bild: dpa
Im Hinblick auf die grundgesetzlich festgelegten Strukturprinzipien, muss angesichts der Klimakrise eine Änderung erfolgen und Alles auf den effektiven Klimaschutz ausgerichtet werden.
Das Grundgesetz sagt erstaunlich wenig zum Umweltschutz. In Artikel 20a GG steht: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Das Problem einer solchen Staatszielbestimmung ist vor allem, dass das Ziel zwar verbindlich ist, auch wenn dieses Ziel hier nur sehr vage ist, die Exekutive weitgehend unkontrolliert ist, wie sie dieses Ziel erreichen möchte. Der Dringlichkeit der Klimakrise wird dies nicht gerecht.
Vielmehr ist die Ökologie unseres Wirtschaftens auf dem Weg zur Klimaneutralität eines unserer Grundprinzipien in Deutschland geworden. Diese Grundprinzipien oder Staatsstrukturprinzipien finden sich in Artikel 20 Abs. 1 GG. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Die Einhaltung dieser Prinzipien unterliegt viel mehr der gerichtlichen Kontrolle als Staatszielbestimmungen. So hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise etwa aus dem Sozialstaatsprinzip eine Mindesthöhe an Sozialhilfe abgeleitet.
Das ist strukturell die Ebene, auf die wir die Ökologie anheben müssen. Artikel 20 Abs. 1 GG sollte deswegen lauten: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer, sozialer und ökologischer Bundesstaat.“ In der Kombination mit Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG, der die körperliche Unversehrtheit aller Bürger*innen garantiert, könnte höchstrichterliche Rechtsprechung somit auch individuelle Rechte in Form eines Mindestmaßes an gesundheitsbezogenem Klimaschutz ableiten. Der Vorteil dieser Vorgehensweise wäre eindeutig, auch die Judikatur mehr auf den Klimaschutz zu verpflichten.
Nur eine „gewaltenübergreifende“ Form des Umweltschutzes kann die Gänze des Staatshandelns auf einen effektiven Klimaschutz einschwören. Eine herausgehobenere Positionierung der Ökologie im Grundgesetz könnte jedoch nicht nur den Weg für individuelle Rechte ebnen, sondern würde vor allem auch in Bereichen wie dem Verwaltungsrecht von oben nach unten auf Entscheidungen durchwirken, wie etwa im Bereich des Bestandsschutzes. Ein verfassungsimmanenter Ausgleich von Interessen ist hier auch im Wege der Sozialbindung des Eigentums in Artikel 12 GG denkbar.
Im Zuge der Klimakrise sind wir auch unser eigener Feind, vor allem unsere Nachlässigkeit, uns selbst zu verpflichten und zu handeln. Eine Einbindung der Ökologie in Artikel 20 GG verhindert indes nicht eine gleichzeitige Reform des Artikels 20a GG, etwa in der Gestalt der verfassungsrechtlichen Bindungen von internationalen Klimaschutzverträgen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann also Staatsstrukturprinzipien ergänzen, allerdings nicht den Gehalt der Ewigkeitsklausel des Artikels 79 Abs. 3 GG um neue Prinzipien erweitern. Bliebe damit die Frage, ob die Ergänzung von Artikel 20 Abs. 1 GG dazu führen würde, dass eines der bestehenden, von der Ewigkeitsklausel geschützten Staatsstrukturprinzipien verletzt würde. Es ist wirksamem Klimaschutz inhärent – nein, es ist seine Aufgabe, generationen- und damit auch legislaturperiodenübergreifende Wirkungen zu erzeugen, um der Klimakrise zu begegnen. Diese Wirkungen setzen Verpflichtungen voraus. Insoweit könnte man meinen, dass Klimaschutzvorhaben womöglich zum Nachteil sozialer Ausgaben führen könnten. Dann bestünde ein Spannungsverhältnis zum Sozialstaatsprinzip, aber auch zum Demokratieprinzip, was gegen die Zulässigkeit einer entsprechenden Ergänzung von Artikel 20 Abs. 1 GG sprechen würde.
In seinem Urteil zum sogenannten großen Lauschangriff hat das Bundesverfassungsgericht Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz allerdings insoweit eng ausgelegt und eine Modifizierung der bestehenden Staatsstrukturprinzipien für zulässig gehalten. Ein Ausgleich von Staatsstrukturprinzipien und Verfassungsgütern erfolgt dann im Wege der sogenannten praktischen Konkordanz. So kann auch bereits der aktuelle Artikel 20a GG bei Interessenkonflikten eine gewisse Berücksichtigung finden.
Gerade aber im Bereich der von unserem Grundgesetz festgelegten Strukturprinzipien, dem auf Ewigkeit angelegten demokratischen und sozialen Bundesstaat, müssen wir angesichts der Herausforderung der Klimakrise einen Schritt weiter denken. Dass der Klimawandel zu einer existentiellen Bedrohung der Menschheit und mit ihr auch unserer demokratischen und sozialen Ordnung selbst werden kann, ist mittlerweile in der Breite unserer Gesellschaft anerkannt. Die Klimakrise zu bewältigen, um unsere Ordnung für die kommenden Generationen – ja, für die Ewigkeit – zu erhalten, ist unsere Aufgabe. Das Sozialstaatsprinzip und das Demokratieprinzip müssen damit durch ein ökologisches Handeln des Staates gerade auf Dauer abgesichert werden. Nur ein nachhaltiger, ökologischer Staat bleibt in der Lage, die sozialen und demokratischen Errungenschaften für die Zukunft zu schützen und zu bewahren: Sie müssen in praktischer Konkordanz stehen. Konkordanz kommt vom lateinischen Wort concordare für „übereinstimmen“ – Demokratie, Sozialstaat und Ökologie werden auf Dauer nur noch in ihrer Übereinstimmung geschützt und verteidigt werden können.
Das Grundgesetz ordnet unsere Prioritäten und gibt ihnen entsprechend rechtliche Wirkung. Deutschland fühlt sich schon lange der Demokratie, dem Sozialstaat und der Ökologie gleichermaßen verpflichtet. Es ist Zeit, dass wir diesem Dreiklang die entsprechende rechtliche Wirkung geben.
Dr. Till Steffen, Senator a. D., ist Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft; Katja Meier ist Sächsische Staatsministerin der Justiz. Beide sind Mitglieder der Grünen.