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F.A.Z.-Machtfrage : Der halbe Scholz

Starker Mann der SPD: Olaf Scholz. Aber was, wenn nicht mehr? Bild: Reuters

Olaf Scholz will sich voll auf die Arbeit als Kanzler konzentrieren und verzichtet darauf, sich für den Parteivorsitz zu bewerben. Ist das klug?

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          Gerhard Schröder hat es getan, Angela Merkel auch, und jetzt auch Olaf Scholz: Alle drei haben als Kanzler(in) entweder irgendwann den Parteivorsitz abgegeben oder, wie jetzt Scholz nach dem angekündigten Rückzug von Norbert Walter-Borjans, von vornherein darauf verzichtet, sich neben dem Kanzleramt auch für die Parteizentrale zu bewerben. Schröder zog 2004 die Konsequenz aus der massiven Kritik in der SPD wegen seiner Hartz-Reformen (und hatte zur SPD ohnehin nie das innigste Verhältnis); Merkel sah das miserable Ergebnis bei der Landtagswahl in Hessen 2018 als Misstrauensvotum auch über ihre Politik und wollte den Weg für einen Neuanfang freimachen; Scholz hält die Doppelbelastung für zu groß und will sich voll auf die Arbeit als Kanzler konzentrieren.

          Oliver Georgi
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

          Bei allen dreien sind die Gründe für ihren Verzicht auf den Parteivorsitz durchaus nachvollziehbar – aber ist dieser deswegen automatisch auch klug? Schließlich gibt es einige Beispiele aus der deutschen Politik, wo eine Trennung von Amt und Mandat eher ein Nachteil war denn eine Entlastung darstellte, selbst wenn Scholz jetzt so argumentiert. Als Gerhard Schröder 2004 auf den SPD-Vorsitz verzichtete und Franz Müntefering übernahm, galt das vielen nur noch als letzter Beweis dafür, wie geschwächt Schröder in seiner Partei schon lange war; nach der Vertrauensfrage verlor er im darauffolgenden Jahr die vorgezogene Bundestagswahl. Auch bei Angela Merkel beschleunigte sich nach Ansicht vieler der seinerzeit schon sichtbare Autoritätsverlust in der Partei, als sie 2018 vom Vorsitz zurücktrat und kurz darauf Annegret Kramp-Karrenbauer übernahm. Viele werteten Merkels Verzicht denn auch im Sinne Gerhard Schröders, der ihn als Beleg dafür sah, dass Merkel „ihren Zenit überschritten“ habe. Das war natürlich eine parteipolitische Aussage, in der aber ein wahrer Kern steckte, der bislang noch bei allen Kanzlerinnen und Kanzlern galt: Wer seine Macht teilt, zweifelt offenbar auch selbst an seiner Autorität, hat danach aber noch weniger von ihr.

          Versäumnis oder Ressourcenschonung?

          Nun werden Sie zu Recht einwenden, dass die Lage bei Olaf Scholz doch eine ganz andere sei als weiland bei Schröder und Merkel: Im Gegensatz zu ihnen ist der SPD-Politiker gerade mächtig wie nie zuvor und seine Position in der Partei unangefochten. Wenn er jetzt ohne Not und a priori auf den Vorsitz verzichtet, ist das also kein Ausweis von Schwäche, sondern lediglich von vorausschauender Ressourcenschonung, oder etwa nicht?

          Gerhard Schröder 2005, damals noch Bundeskanzler, aber schon nicht mehr SPD-Vorsitzender, mit Franz Müntefering
          Gerhard Schröder 2005, damals noch Bundeskanzler, aber schon nicht mehr SPD-Vorsitzender, mit Franz Müntefering : Bild: dpa

          Nein, aber womöglich ein Zeichen von Fahrlässigkeit. Sicher geht es der SPD derzeit so gut wie lange nicht mehr und viele Genossen können sich gerade nicht vorstellen, dass sich an der neuen trauten Einigkeit in der Partei so schnell etwas ändern könnte. Doch Scholz’ Verzicht birgt für ihn erhebliche Risiken. Denn der Burgfrieden, den der linke Parteiflügel mit Schröders früherem Generalsekretär, Agenda-2010-Vertreter und Protagonisten der großen Koalition geschlossen hat, könnte schnell wieder brüchig werden, wenn die Ampel grün oder gar gelb blinkt und Scholz die SPD aus Koalitionsräson nach Meinung der linken Genossen zu sehr in der Mitte hält.

          Ein Kanzler, der einen Kurs des größtmöglichen Ampel-Konsenses fährt und eine Partei, die sich nach der sedierenden Euphorie des überraschenden Wahlsiegs im trüben Regierungsalltag wieder nach sozialdemokratischem Herzblut sehnt – das könnte schnell wieder eine explosive Mischung werden, dafür arbeiten sich die Genossen traditionell zu gern an ihren starken (und, nach Brandt, oft vergleichsweise konservativen) Kanzlern ab. Umso wichtiger ist es für einen Kanzler und seine Machtbasis, auch als Parteivorsitzender ein aufmerksames Ohr an der Basis zu haben, um programmatische Konflikte früh entschärfen, Allianzen rechtzeitig  schmieden und Angriffe bestmöglich abwehren zu können.
           
          So aber riskiert Scholz mit seinem Verzicht, sich neben dem Kanzleramt ein zweites SPD-Kraftzentrum heranzuziehen, das sich sukzessive wieder von ihm und seinem Erfolg entfremdet und bald vielleicht wieder eine innerparteiliche Opposition bildet. Die verbliebene Vorsitzende Saskia Esken, aber auch der frühere Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, dem jetzt viele Chancen auf den Ko-Vorsitz ausrechnen, könnten spätestens dann ein starkes linkes Gegengewicht zu Scholz bilden, wenn er als realpolitisch-pragmatischer Kanzler manche rote Hoffnung zerstören muss.

          Parteilinker Kühnert: Bildet er ein linkes Gegengewicht zu einem Kanzler Olaf Scholz?
          Parteilinker Kühnert: Bildet er ein linkes Gegengewicht zu einem Kanzler Olaf Scholz? : Bild: dpa

          Scholz, kühl kalkulierender Pragmatiker, der er ist, wird sich seinen Verzicht auf den Vorsitz gut überlegt haben. Erhebt er auch einen Anspruch auf die Parteispitze, wäre das ein eindeutiges Zeichen an die SPD, dass er die potentielle Wiederbelebung des linken Flügels in der Regierung und dessen Konfliktpotential in engen Grenzen zu halten bereit ist. Tut er es hingegen nicht, gibt er ein Signal der innerparteilichen Toleranz: nicht Machismo à la Schröder, sondern laisser-faire à la Scholz.
           
          Das kann gut gehen, solange Scholz Erfolg hat. Bleibt der Erfolg aus, könnte er es noch bereuen, dass er das Momentum, seine Machtbasis noch deutlich zu verstärken, nicht genutzt hat.

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