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Rüdiger Wolfrum : Genfer Recht und Bagdager Realität

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Eine Besatzungsmacht darf in die Struktur des besetzten Landes umgestaltend eingreifen - unter Verantwortung und mit Auftrag des UN-Sicherheitsrats. Eine nur militärische Besatzungsmacht ohne solche Ermächtigung darf das nicht.

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          Am 5. Mai 2004 formulierte der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld: „Es gab eine Entscheidung, daß die Genfer Konvention nicht präzise gilt, aber daß jede Person so behandelt wird, als ob die Genfer Konvention gilt.“ Nur zehn Tage später mußte der stellvertretende Verteidigungsminister Wolfowitz bei einer Anhörung einräumen, daß im Gefängnis von Abu Ghraib gegen Genfer Recht verstoßen worden sei. Galt es oder galt es nicht; was heißt, es galt nicht präzise? Die Unsicherheit in der amerikanischen Regierung und der militärischen Führung über die Anwendung des humanitären Völkerrechts, vor allem des Genfer Rechts, das heißt hier der III. und IV. Genfer Konvention von 1949 über die Behandlung von Kriegsgefangenen beziehungsweise der Zivilbevölkerung, sowie der Haager Landkriegsordnung von 1907, ist einer der Gründe für die Mißhandlung von irakischen Gefangenen, über die jetzt in den Medien berichtet wird.

          Diese Unsicherheit hat verschiedene Ursachen. In ihr spiegelt sich bis zu einem gewissen Grade eine ambivalente Einstellung gegenüber rechtlichen, insbesondere völkerrechtlichen Bindungen wider, eine Haltung, die starke Verfechter in der amerikanischen Völkerrechtswissenschaft hat. In der Vergangenheit ist der sich auseinanderentwickelnden Einschätzung diesseits und jenseits des Atlantiks, inwieweit das Völkerrecht eine Schranke für das Handeln von Regierungen, aber auch von Einzelpersonen darstellt, eine zu geringe Aufmerksamkeit gewidmet worden. Ausschlaggebend ist aber sicherlich auch das durch den Terroranschlag vom 11. September 2001 bewirkte und von der amerikanischen Politik immer wieder instrumentalisierte Trauma, Hauptziel eines international agierenden Terrorismus zu sein. Schließlich wird die von der Washingtoner Regierung in Anspruch genommene Mission, die Welt von der Gefahr des internationalen Terrorismus und von unverantwortlich handelnden politischen Regimen zu befreien, als Rechtfertigung dafür herangezogen, sich von völkerrechtlichen Restriktionen zu lösen. All dies rechtfertigt nicht die Mißhandlungen von irakischen Gefangenen, und es werden auch nur sehr vereinzelt Versuche unternommen, Rechtfertigungen oder Erklärungen zu formulieren, indem man auf die massiven Menschenrechtsverletzungen des abgelösten irakischen Regimes verweist.

          Es bleibt aber eine bislang vernachlässigte Tatsache, daß die existierenden völkerrechtlichen Regelungen über die Rechte und Pflichten einer Besatzungsmacht nach einem zwischenstaatlichen Krieg den Gegebenheiten und Bedürfnissen im Irak nicht gerecht werden. Allerdings würde sich die völkerrechtliche Situation anders darstellen, und eine Reaktion auf die Gegebenheiten im Nachkriegs-Irak wäre effektiver möglich, wenn die Verantwortung für die Zukunft dieses Landes internationalisiert würde. Dies setzt eine Übernahme der Verantwortung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen voraus. Amerika hat sich aber bislang dagegen gewehrt, durch volle Übertragung der Verantwortung für die Wiederherstellung der Ordnung im Irak und den Aufbau einer demokratischen Ordnung auf den UN-Sicherheitsrat völkerrechtlichen Handlungsspielraum zu schaffen.

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