Rizin als B-Waffe : Die letzte Hoffnung des IS?
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Ein BKA-Beamter in Schutzkleidung steht am 15. Juni in dem Wohnkomplex Osloerstr. 3 in Köln-Chorweiler auf einem Balkon. Bild: dpa
Der „Islamische Staat“ steht mächtig unter Druck, denn Europa reagiert auf konventionelle Anschläge gelassener als von den Terroristen erhofft. Nun suchen sie neue Wege, um Angst und Schrecken zu verbreiten.
Am Mittwochvormittag machte Holger Münch aus der düsteren Vorahnung eine schauderhafte Gewissheit. „Ein in Deutschland einmaliger Vorgang“ sei das, sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) im „rbb-Inforadio“. Deutschland, so scheint es, ist an einer Terror-Katastrophe vorbeigekommen, die alles in den Schatten gestellt hätte, was radikalislamistische Organisationen in Europa an Angst, Hass und Zerstörung bislang angerichtet haben. An einem Anschlag mit einer Massenvernichtungswaffe, vor dem selbst kriegführende Staaten zurückschrecken. Vor einer Biobombe.
Das BKA geht davon aus, dass der vor einer Woche in Köln-Chorweiler festgenommene Tunesier Sief H. die feste Absicht hatte, mit ihr sehr viele Menschen zu töten. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Vorbereitungen einer schweren staatsgefährdenden Straftat, die schon „ganz konkret“ gewesen seien, so Münch. Der 29 Jahre alte Mann habe schon damit begonnen, den Kampfstoff Rizin herzustellen und Material besessen, um einen Sprengsatz herzustellen. Die Anleitungen für den Bau einer solchen Biobombe gebe es im Internet auf Seiten islamistischer Organisationen. Daran habe sich H. offenkundig auch orientiert.
Ob der Festgenommene ein „einsamer Wolf“ war – also auf eigene Faust handelte – oder es Mitwisser, Helfer und weitere Täter gab, müssen die Ermittlungen zeigen. Das gilt auch für die Antwort auf die Frage, ob er bereits ein konkretes Ziel im Blick hatte. Fest steht jedoch: Erst das Zusammenspiel aufmerksamer Bürger und der Nachrichtendienste hat dazu geführt, die Gefährdung zu konkretisieren. Laut seinem Präsidenten Hans-Georg Maaßen soll der Verfassungsschutz den entscheidenden Hinweis, dass der Mann einen Anschlag planen könnte, aus der Bevölkerung bekommen haben. Das Risiko war so groß, dass die Polizei sich zum unmittelbaren Einschreiten gezwungen sah. Und das offenbar aus gutem Grund.
Bei dem Kampfstoff, den die Ermittler in der Wohnung des Verdächtigen fanden, handelt es sich um Rizin. Das hochgiftige Protein wird aus Rizinussamen gewonnen, die frei erhältlich sind und von dem Verdächtigen auch problemlos gekauft werden konnten. Es gelangt über die Atemwege, durch Schlucken oder injiziert über die Blutbahn in den Körper. Dort greift es den Verdauungstrakt an, unterbindet die Proteinproduktion und führt bei Erwachsenen schon ab einem Milligramm binnen Tagen zum Tod durch Kreislaufversagen. Bei Kindern schon viel früher. Ein Gegenmittel existiert nicht.
Seine Tödlichkeit ließ während des Ersten Weltkriegs das amerikanische Militär ein Auge auf Rizin werfen. Der Einsatz an der Front wurde aber damals ebenso verworfen wie später während des Zweiten Weltkrieges. Zwar gibt es Berichte darüber, dass die amerikanischen Streitkräfte damals mit Streubomben und Rizin experimentierten. Doch erschien der Einsatz dem Vernehmen nach als nicht wirtschaftlich genug. Es gab effizientere Wege, um zu töten. Amerika und auch Großbritannien legten stattdessen große Mengen des Kampfstoffes Sarin an. Rizin wurde international geächtet. Seit 1972 fällt es unter die Biowaffen-, seit 1997 auch unter die Chemiewaffenkonvention.
Unter nichtstaatlichen Akteuren und vermutlich auch Geheimdiensten ist das Interesse an Rizin unterdessen ungebrochen. Vor allen Dingen wenn es darum geht, gezielte Anschläge auszuüben. Die erste verbriefte Attacke ereignete sich vor 40 Jahren auf der Londoner Waterloo Bridge. Der Täter stach damals den bulgarischen Schriftsteller und Dissidenten Georg Markow mit einer präparierten Regenschirmspitze in den Oberschenkel und injizierte so das Gift. Markow starb vier Tage später. Seitdem ist die Zahl der gemeldeten Anschlagsversuche stark gestiegen, meist in Form von verabreichten Kügelchen oder in Briefen versandtem Puder. Die Ziele waren dabei so unterschiedlich wie die Täter, bei denen es sich meist um Verwirrte, Rechtsextreme oder radikale Islamisten handelte.