Regierungswechsel in Brasilien : Wie viel Brüderlichkeit ist angebracht?
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r) trifft am Vorabend der feierlichen Amtseinführung den neue brasilianischen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilia. Bild: dpa
Dank Lula da Silva darf man sich wieder mit dem brasilianischen Präsidenten zeigen. Doch nicht in allen Fragen kann Europa auf Brasilien zählen.
Die Linke feiert. Luiz Inácio Lula da Silva ist zurück an der Macht, ist zum dritten Mal Präsident Brasiliens. Der Andrang in Brasilia zur Amtsübernahme am Neujahrstag war groß. Mehr als fünfzig Delegationen aus dem Ausland trafen ein, um ihm zu gratulieren. Zu den anwesenden Staatschefs zählte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er fühlte sich sichtlich wohl in Brasilia, traf sich zum privaten Gespräch mit dem alten Freund, freute sich über die „Rückkehr Brasiliens auf die Weltbühne“ und zeigte sich in brüderlicher Umarmung mit Lula.
So macht man das in Brasilien eben. Und irgendwie ist die Freude über den Regierungswechsel verständlich, auch weil die neue Regierung beim wichtigen Thema Klimaschutz deutlich mehr auf einer Linie mit Deutschland ist. Das Entwicklungsministerium stellt gar 35 Millionen Euro für den Schutz des Regenwaldes bereit.
Zu Bolsonaro wollte kaum ein Deutscher reisen
Es gibt großen Nachholbedarf in der Beziehung zur größten Volkswirtschaft Lateinamerikas. In den vergangenen vier Jahren hat kaum ein deutscher Politiker einen Fuß in das Land gesetzt. Eine Annäherung an Lula da Silvas Vorgänger Jair Bolsonaro hätte zum Imageproblem werden können. Bolsonaro führte Brasilien in die Isolation, nicht nur in der Klimafrage, die den Europäern so wichtig geworden ist. Im vergangenen Jahr löste er auch Kopfschütteln aus, als er wenige Tage vor dem Überfall auf die Ukraine den russischen Präsidenten Wladimir Putin besuchte. Anders als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz, die Putin auf Distanz hielt, durfte der Brasilianer am kleinen Tisch Platz nehmen.
Bolsonaro bot viel Anlass zur Kritik. Fraglich ist aber, ob man nun Lula da Silva so kritiklos und begeistert entgegengehen sollte, wie das Steinmeier in Brasilia tat. Denn es gibt neben dem Klimawandel noch andere wichtige Themen. Um beim Beispiel Ukraine zu bleiben: Europa sollte sich keine Hoffnungen machen, in der neuen brasilianischen Regierung einen Alliierten für seine Unterstützung der Ukraine in diesem Krieg zu finden. Die brasilianische Außenpolitik war stets neutral. Unter Lula könnte sie noch „neutraler“ werden, als Europa das lieb sein kann.
Was er vom Krieg hält, machte er im Mai in einem Interview mit dem amerikanischen „Time“-Magazin deutlich: „Dieser Typ ist ebenso schuld am Krieg wie Putin“, sagte Lula da Silva über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Würde dieser den Krieg nicht wollen, würde er sich um Verhandlungen bemühen. Das klang ein bisschen so wie Steinmeiers Wort vom „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ der NATO gegenüber Russland, das er als Außenminister wahrgenommen hatte.
Lateinamerikas Linke ist US-kritisch
Lula da Silva wird sich nicht gegen Putin aussprechen. Diese Haltung spiegelt ein Stück weit den Antiamerikanismus wider, der sich in der lateinamerikanischen Linken eisern hält, auch in weiten Teilen von Lula da Silvas Arbeiterpartei. Sie zählte zu den ersten Gratulanten, nachdem der nicaraguanische Diktator Daniel Ortega im vergangenen Jahr etwa dreißig Oppositionsführer verhaften und sich danach wiederwählen ließ. Auch den venezolanischen Diktator Nicolás Maduro zählt Lula da Silva zu seinen Freunden. Maduro war gar zur Amtseinweihung eingeladen, erschien aber nicht. Ihn hätte Lula da Silva ebenso herzlich umarmt wie Steinmeier.
Der sprach als Lulas Freund diese anderen schwierigen Freundschaften offenbar nicht an. Dabei sind Freunde doch gerade dazu da, über heikle Themen zu diskutieren. Eines dieser Themen ist die Korruption. Sie wurde am Neujahrstag in Brasilia zur Amtseinführung mit keinem einzigen Wort erwähnt. Vielleicht aus Anstand gegenüber dem Gastgeber. Dessen Erfolge während seiner Regierungszeit von 2003 bis 2011 lassen sich nicht abstreiten. Ebenso wenig aber auch der riesige Korruptionsskandal, der die Regierungszeit bestimmte. Zwar gibt es gegen Lula da Silva keine klaren Beweise. Der Prozess, der ihn ins Gefängnis brachte, war unsauber und wurde später annulliert. Doch der Skandal war keine Fiktion. Er trug sich unter Lula da Silvas Augen zu.
Bei der Linken vor allem in Europa hat Lula sein positives Image bewahrt. Er bleibt das Opfer, dem nun durch die Wiederwahl Gerechtigkeit widerfahren sei. Gerade in Brasilien sieht man die Sache kritischer. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich fast die Hälfte der Wähler für Bolsonaro entschieden haben. Sie sollte man nicht vergessen, ebenso wenig die Ukrainer, Nicaraguaner und Venezolaner, bevor man ob der Rückkehr Lulas in blinde Begeisterung verfällt.