Gefahr für Europa? : Was die Schotten wollen
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Mit Schottenmützen in die Unabhängigkeit: Diese drei Männer werben für ein „Yes“. Bild: dpa
Das Gespenst eines rückschrittlichen Nationalismus und des Endes der EU wird beschworen. Aber es sind nicht die Anhänger der Unabhängigkeit Schottlands, die Europa gefährden.
Der drohende Zerfall des Vereinigten Königreichs nahm nicht im Amtssitz des schottischen Nationalistenführers Alex Salmond ihren Ursprung. Der Geburtsort der „DeMacAlypse 2014“, wie der amerikanische Satiriker Jon Stewart die Disintegration Großbritanniens nennt, liegt einzig und allein in der Downing Street No. 10, im Arbeitszimmer des britischen Premiers David Cameron. Dabei war nicht einmal die Unbeliebtheit der konservativen britischen Regierung in Schottland der entscheidende Geburtshelfer. Cameron hat sich schlicht und einfach verzockt.
Egal, wie das Referendum jetzt ausgehen wird – David Cameron hat bereits verloren. Nach dem Triumph der Scottish National Party (SNP) bei der schottischen Wahl 2011 forderte deren Führer Salmond die Durchführung eines Referendum über Schottlands Unabhängigkeit. Mit einem Blick auf die damaligen Umfragewerte wollte der brillante Taktiker Salmond aber kein Referendum mit einer einfachen Wahl zwischen Unabhängigkeit und Status Quo. Es sollte auch eine „Devolution Max“, also die weitgehende schottische Steuerhoheit, zur Abstimmung stehen.
Fragen zum schottischen Unabhängigkeitsreferendum
Wer darf wählen?
Worum geht es bei dem Referendum?
Wer sind die Streitparteien?
Was passiert bei einem „Ja“?
Was passiert bei einem „Nein“?
Kann Schottland auch ohne die Briten existieren?
Was würde eine Unabhängigkeit Schottlands für Europa bedeuten?
Der britische Premier meinte den schottischen Nationalistenführer ausgetrickst zu haben, als er ein Jahr später einen Deal mit Salmond einging. Das Edinburgh Agreement gab Salmond zwar sein Referendum, aber nur unter dem Preis einer einfachen Wahl zwischen Unabhängigkeit oder Status Quo. Ein solches Referendum schien ungewinnbar, da sich mehr als zwei Drittel der Befragten damals in Meinungsumfragen entweder für ‚Devolution Max‘ oder den Status Quo ausgesprochen hatten.
Panische Versprechen
Die Taktik der britischen Regierung im Vorfeld des Referendums war einfach: Keine positive und emotionale Kampagne über gemeinsame Errungenschaften sollte es geben, sondern einen negativen, die wirtschaftlichen und sozialen Gefahren einer Unabhängigkeit hervorhebenden Feldzug. Im Anbetracht der Risikoscheu der schottischen Gesellschaft war dies keine dumme Strategie. Aber deren Umsetzung war dann selten dumm, denn sie ignorierte den Bravehart-Impuls der schottischen Gesellschaft.
Die Botschafter der Nachricht, dass eine Unabhängigkeit gefährlich sein würde und dass die Schotten keine erfolgreiche Unabhängigkeit hinbekommen würden, waren Londoner Eliten, Banker und Wirtschaftsführer. Egal wie richtig oder falsch deren Nachricht war, gibt es nichts, was viele Schotten mehr hassen als von „denen da im Süden“, von Bankern und von reichen Kapitalisten gesagt zu bekommen, was sie zu tun und zu lassen haben.
Vor dem Referendum : Viele arme Schotten haben genug von Großbritannien
So schossen über den Spätsommer auf einmal die Umfragewerte der Unabhängigkeitsbefürworter nach oben. In großer Panik begaben sich nun die Führer der drei größten britischen Parteien vor einer Woche nach Schottland und versprachen den Schotten im Falle der Ablehnung des Referendums weitgehende Steuerhoheit. Nun werden die Schotten zumindest genau das bekommen, was die SNP im Jahre 2011 für nur machbar hielt. Und vielleicht gibt es sogar die ganze Unabhängigkeit. Vielleicht sollte die SNP David Cameron zu ihrem Ehrenvorsitzenden ernennen.
Nur kurzfristiges Chaos
Beim Blick in den deutschen Blätterwald erscheinen aber nicht nur Cameron, sondern wir alle als Verlierer. Es wird ein Porträt aus wirtschaftlichem Chaos, der Rückkehr eines atavistischen Nationalismus in Europa und dem drohenden Zerfall der Europäischen Union in einer gefährlichen Welt an die Wand gemalt. Man muss kein Befürworter schottischer Unabhängigkeit sein, um festzustellen, dass hier in Wahrheit deutsche Kommentatoren lediglich den Wahlkampfschall und -rauch der Unabhängigkeitsgegner vermischt mit einem grundsätzlichen Unwohlsein gegenüber nationaler Identität reproduzieren.