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Recht auf Vergessenwerden : Google weitet Filterung der Suchergebnisse aus

  • -Aktualisiert am

Mit Abstand die wichtigste Suchmaschine: In Deutschland hat Google einen Marktanteil von 95 Prozent. Bild: dpa

In Kürze wird der Konzern ein Schlupfloch schließen und die Filterung bei der Internetsuche erweitern. Damit reagiert Google auf die Kritik von Datenschützern. Ob die sich so besänftigen lassen, ist noch offen.

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          Im Streit über die Umsetzung des „Rechts auf Vergessenwerden“ kommt Google Europas Datenschützern einen Schritt entgegen: Der Internetkonzern wird Mitte dieses Monats ein sogenanntes Geoblocking einführen, um beanstandete Ergebnisse bei allen Suchanfragen aus dem betroffenen Staat zu unterdrücken. Das bestätigte der Konzern nun gegenüber FAZ.NET. Mitgeteilt wurde die Entscheidung Ende Januar zunächst nur den europäischen Datenschutzbehörden, mit denen Google seit langem über die Umsetzung des Rechts diskutiert. Zuerst darüber berichtet hatte die französische Zeitung „Le Monde“.

          Das „Recht auf Vergessenwerden“ hatte der Europäische Gerichtshof in einem Urteil vom Mai 2014 auf Internet-Suchmaschinen angewendet. Damals hatten die Richter Google dazu verpflichtet, auf Antrag einer Privatperson Treffer aus der Ergebnisliste zu entfernen, die erscheint, wenn man nach dem Namen des Betroffenen sucht. Entfernt werden müssen Links auf Inhalte, die falsch, nicht mehr aktuell oder für die Öffentlichkeit irrelevant sind. Die Inhalte selbst bleiben, denn sie befinden sich auf den Websites Dritter, aber Google darf nicht mehr auf sie verweisen.

          Ein Schlupfloch verschlossen

          Die Entscheidung über die Anträge hat das Gericht den Anbietern der Suchmaschinen aufgebürdet. So kam Google, dessen Marktanteil bei der Internetsuche in Deutschland 95 Prozent ausmacht, in die Rolle eines Quasi-Richters, der in jedem Einzelfall zwischen Datenschutz und öffentlichem Informationsinteresse wägen muss. Es war eine Rolle, die der Konzern nur widerwillig übernahm, mittlerweile aber offenbar ganz gut ausfüllt. Die Rechtspraxis funktioniere weitgehend, sagt der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar. Dessen Behörde hat allerdings große Schwierigkeiten, all die Fälle zu bearbeiten, in denen sich Betroffene melden, weil sie Entscheidungen von Google beanstanden wollen. Zwar sei die Zahl der Eingaben, gemessen an der Gesamtzahl der Widersprüche, eher gering, so Caspar. Dennoch habe sich ein Bearbeitungsstau bei den nahezu 500 eingegangenen Beschwerden entwickelt. Das liege nicht an der Kommunikation mit Google, sondern „an massiven personellen Defiziten des Datenschutzes in Hamburg“.

          Eine Sache aber war Caspar und vielen seiner Kollegen in anderen europäischen Staaten besonders wichtig: Die beanstandeten Suchergebnisse sollten nicht nur in den länderspezifischen Suchen wie google.de (Deutschland) oder google.fr (Frankreich) unterdrückt werden, sondern auch in der globalen Suche auf google.com. Der Internetkonzern argumentierte dagegen, der Datenschutz in Europa dürfe nicht die Informationsfreiheit etwa der amerikanischen Internetnutzer beschneiden. Und so konnte das „Recht auf Vergessenwerden“ bislang ganz einfach ausgehebelt werden: Nutzer mussten lediglich zu google.com wechseln und konnten dort auch jene Links finden, die in Europa aus Datenschutzgründen verborgen werden mussten. Dieses Schlupfloch hat Google nun zumindest teilweise verschlossen.

          Dazu wertet das Unternehmen die IP-Adressen aller Suchanfragen aus. Die IP-Adresse ist so etwas wie das Kennzeichen eines Computers und verrät, in welchem Land er sich befindet. Weist die IP-Adresse auf einen Standort in jenem Land hin, in dem ein Antragsteller erfolgreich Suchergebnisse entfernen ließ, werden nur die gefilterten Ergebnisse angezeigt – unabhängig davon, über welche Google-Version gesucht wird. Anderenfalls bleibt es bei der bisherigen Situation: Nutzern aus anderen europäischen Staaten werden die gefilterten Ergebnisse nur dann angezeigt, wenn sie nicht über google.com suchen; Nutzer aus außereuropäischen Staaten sehen ohne Einschränkung alle Suchergebnisse.

          Auch für diese technische Lösung gibt es Umgehungsmöglichkeiten, doch stellen sie eine höhere Hürde dar. So könnte ein Internetnutzer seine Suchanfrage über einen sogenannten Proxyserver umleiten, der außerhalb Europas steht und deshalb auf die ungefilterten Suchergebnisse zugreifen kann.

          Google hofft anscheinend, mit dem Schritt seine Kritiker besänftigen zu können. So hatte etwa die französische Datenschutzbehörde CNIL schon ein Verfahren eingeleitet und ein Bußgeld von 150.000 Euro verhängt, um das „Recht auf Vergessenwerden“ weltweit auf allen Google-Seiten durchzusetzen. Ob die Behörde sich mit Googles Lösung nun zufrieden gibt und auf weitere Schritte verzichtet, ist aber noch offen.

          Deutschland im oberen Mittelfeld

          Europas Bürger machen von ihrem Recht bereits regen Gebrauch. Bei Google beschäftigt sich ein ganzes Team von Prüfern mit Hauptsitz in Dublin mit Anträgen auf Entfernung aus den Suchergebnissen. Bis Anfang Februar dieses Jahres gingen laut Googles „Transparenzbericht“ rund 384.000 Anträge ein, betroffen waren fast 1,4 Millionen Websites. Gut 66.000 Gesuche kamen aus Deutschland.

          Aus Googles Bericht lässt sich mit ein wenig Rechenaufwand auch herauslesen, dass die EU-Bürger ihr Recht in stark unterschiedlichem Ausmaß in Anspruch nehmen. So stellen die Esten 212 Anträge pro zehntausend Einwohnern und damit zehnmal so viele wie die Griechen. Deutschland liegt mit 82 Anträgen im oberen Mittelfeld. Auch die Erfolgsquoten fallen deutlich unterschiedlich aus. In Luxemburg, Frankreich und Deutschland werden etwa die Hälfte aller beanstandeten Links aus den Suchergebnissen entfernt. Schlusslicht ist Bulgarien mit einer Erfolgsquote von gerade einmal 21 Prozent. Der Grund dafür ist nicht bekannt; Google erklärt sich das mit landesspezifischen kulturellen Eigenheiten.

          Eigentlich gelten in ganz Europa dieselben Richtlinien für die Bearbeitung der Anträge: Die Chance auf Erfolg ist größer, wenn der Antragsteller keine oder nur eine begrenzte Rolle im öffentlichen Leben spielt. Ebenso wenn die verbreiteten Informationen sensibel sind, etwa weil sie den Intimbereich betreffen, persönliche Daten preisgeben oder jemanden gefährden könnten. Und ebenso, wenn die Ereignisse schon weit in der Vergangenheit liegen. Links auf seriöse Quellen wie journalistische Websites werden seltener entfernt. Deshalb haben sich auch Befürchtungen vieler Medienhäuser nicht bewahrheitet, dass ihre journalistischen Angebote nun massenhaft aus Googles Ergebnislisten getilgt würden. Laut einer Umfrage im Branchenmagazin „Journalist“ sind deutsche Medien von den Sperren „erstaunlich selten betroffen“.

          Offenbar aus vorauseilendem Protest kamen manche Redaktionen auf die Idee, die von Google entfernten Links nun noch einmal zu veröffentlichen. So hielt es die „Daily Mail“ für geboten, ihre Leser wieder auf einen jahrealten Fall zu stoßen, in dem es um ein Paar ging, das in einem Zug Sex hatte. Der Mann wird dort namentlich und mit Wohnort genannt. Die BBC veröffentlichte noch einmal einen Link auf einen Text über einen damals achtzehn Jahre alten Studenten, der betrunken mit seinem Auto auf dem Campus erwischt worden war. Genau für solche Fälle hatte der Gerichtshof das „Recht auf Vergessenwerden“ geschaffen: Niemand soll lebenslang für seine Taten büßen müssen, wenn das öffentliche Interesse daran schon längst wieder abgeebbt ist.

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