„Vatileaks“ : Ein Papst sieht schwarz
- -Aktualisiert am
Die wohl schwersten Wochen seiner Amtszeit: Papst Benedikt XVI. Bild: dapd
Die „Raben“ machen Benedikt XVI. das Leben schwer. Solange der „Vatileaks“-Skandal nicht beendet ist, treten seine seelsorgerischen Anliegen in den Hintergrund.
Auch Papst Benedikt XVI. hat sich zu Beginn der Fußball-EM geäußert. Er schrieb Polens Bischöfen, der Mannschaftssport sei eine „Schule für die Achtung vor anderen, auch vor sportlichen Gegnern“ und helfe dabei, „sich über die Logik von Individualismus und Egoismus zu einer Logik von Brüderlichkeit und Liebe zu erheben“. Dem Papst wird es tatsächlich um Fußball gegangen sein. Aber in Italien wird derzeit jeder Text von seinem Schreibtisch als Kommentar zum Skandal um den „Raben“ Paolo Gabriele gelesen, der von dort vertrauliche Dokumente stahl. Italien lauert auf das nächste Kapitel im Skandal um den Kammerdiener, vermeintlich verräterische Prälaten und korrupte Bischöfe. Dadurch hört man kaum noch die Botschaften des Papstes.
Seit mehr als zwei Wochen ist Gabriele in Haft. In seiner Wohnung waren vier Ordner mit kopierten Texten vom Schreibtisch des Papstes gefunden worden. Zunächst wurde Gabriele von der Gendarmerie vernommen. Seit Dienstag wird er nun von dem Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet verhört. Aber noch immer wird über Motiv und Hintermänner Gabrieles gerätselt. Seit Anfang des Jahres tauchen in der italienischen Presse die gestohlenen Texte auf. Die Zeitungen ergänzen sie mit saftig erscheinenden Geschichten.
Verdächtige, Verhaftungen und Erpressung
So werden ungenannte „Raben“ zitiert oder dürfen sich interviewen lassen. Dröge wirken dagegen die Richtigstellungen von Vatikansprecher Pater Federico Lombardi. Aber die akkreditierten Journalisten im Pressesaal vertrauen ihm. Womöglich hält Lombardi Kenntnisse zurück, aber wenn er die jüngste Mär vom „Doppelagenten“ Gabriele dementiert, dann dürfte das der Wirklichkeit entsprechen. Lombardi ist derzeit die einzige offizielle Informationsquelle - alle anderen üblichen Gesprächspartner hält das päpstliche Sicherheitssystem zum Schweigen an.
Dieser Tage hatte es geheißen, der 46 Jahre alte Gabriele, Bürger des Vatikanstaats und Vater dreier Kinder, sei schon vor Monaten gestellt worden. Er habe aber gegen die Zusicherung einer milden Strafe zunächst „Rabe“ bleiben sollen, um seine Auftraggeber zu enttarnen. Wenn dem so wäre, dann gäbe es längst Ermittlungen gegen weitere Verdächtige, wenn nicht gar Verhaftungen. Doch die blieben bisher aus.
Italiens Journalisten und Buchautoren spinnen nun ihre eigenen Geschichten; „Vatileaks“ soll Leser anziehen. Die Zeitung „La Repubblica“ zeigte jüngst die Unterschrift des päpstlichen Privatsekretärs Georg Gänswein unter zwei Seiten, die selbst nicht lesbar waren. Dazu hieß es, die „Raben“ würden für die Veröffentlichung der gesamten Texte sorgen, wenn die „Säuberung“ im Vatikan nicht voranschreite. Radio Vatikan bezeichnete das als Erpressung.
„Sie sind der Rabe“
Neben vielen Gerüchten erreichen nur wenige Tatsachen die Öffentlichkeit. Demnach stellte Gänswein den Kammerdiener Gabriele am 22. Mai, als er ein Papier vermisste, das nur auf dem Schreibtisch des Papstes oder auf seinem eigenen liegen konnte: die jüngste Bilanz der Ratzinger-Stiftung, die allein Gänswein für seinen Chef verwaltet. Dieses Papier sollte nicht über Gänswein, den zweiten Privatsekretär, Monsignore Alfred Xuereb aus Malta, oder andere an das Staatssekretariat geschickt werden, wo der Regierungschef des Vatikans herrscht, Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone.
„Sie sind der Rabe“, soll Gänswein dem Kammerdiener ins Gesicht gesagt haben. Es kam zum Streit. Gleichwohl fühlte sich der Kammerdiener offenbar weiterhin sicher: Fast einen Tag lang hätte er Zeit gehabt, die Beweisstücke zu Hause beiseitezuräumen. Stattdessen fanden die Gendarmen die Dokumente, als sie Gabriele am Abend des folgenden Tages festnahmen.
Allerdings wohnt Gabriele in einem Haus in der gerade mal 0,44 Quadratkilometer großen, nur etwa 850 Einwohner zählenden Vatikanstadt, wo alle alles sehen und jeder jeden kennt. So ist die Mutter von Emanuela Orlandi seine Wohnungsnachbarin. Das Mädchen verschwand nach dem Flötenunterricht im Juni 1983 und wurde nie wieder gesehen.