Katrin Göring-Eckardt : Die grüne Angela
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Clever, selbstbewusst und ohne Riesen-Ego: Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt erinnert viele Parteifreunde an die Bundeskanzlerin Bild: dpa
Katrin Göring-Eckardt hat viele Eigenschaften, die an Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnern. Die Spitzenkandidatin ist sehr beweglich - auch weil sie kein übergroßes Ego hat. Ob sie sich in Zukunft als politisches Alphatier durchsetzen kann, ist noch ungewiss.
Spektakulär war der Auftritt nicht, den Katrin Göring-Eckardt gemeinsam mit Peer Steinbrück kürzlich in Berlin zum Thema Mindestlohn hinlegte. Aber er war fehlerfrei. Neben dem bärbeißig wirkenden SPD-Kanzlerkandidaten machte sich die freundliche Grüne gut, sprach verständlich und einleuchtend. Was die Spitzenkandidatin für die Außenwirkung der Grünen bedeutet, wird klar, wenn man sich für einen Moment an ihren Platz neben Steinbrück die grüne Parteichefin Claudia Roth oder die Fraktionsvorsitzende Renate Künast denkt. Gegen diese grünen Veteraninnen hatte sich die Thüringerin in einer Urwahl der Mitglieder durchgesetzt. Ein Überraschungscoup, angeblich. Doch der so bezeichnete Außenseitersieg war gar keiner. Göring-Eckardt wusste, dass sie diese Wahl gewinnen würde.
Die Grünen wollten nicht nur ein neues Gesicht - so neu ist das der 47 Jahre alten Vizepräsidentin des Bundestags im Übrigen nicht. Aber die schrille, immergleiche Claudia Roth repräsentiert heute nicht mehr die grüne Basis. Und die kratzbürstige Renate Künast ist nach dem Wahldebakel in Berlin schwer beschädigt. Was lag da näher, als für eine Frau zu stimmen, die bürgerliche Wähler anspricht und zugleich ein Gegengewicht zu Jürgen Trittin ist, dem unbestrittenen Grünen-Chef, der sich aber als Sympathiebolzen schwer verkaufen lässt? Als Leitfigur der bürgerlichen Grünen, wie sie nicht nur in Hessen, Bayern oder im Südwesten vorherrschen, kam nur KGE, wie sie in der Partei genannt wird, in Frage.
Die Legende vom Außenseiter-Sieg schadet ihr nicht. Auch nicht jene von der Sanftheit der neuen Frontfrau. Denn das Leise und Zurückhaltende, das sie als ihr Markenzeichen kultiviert hat, war schon immer mit Machtinstinkt und extremem Ehrgeiz verbunden. Göring-Eckardt wusste stets, wann sie die Hand heben, wann sie nach vorn drängen muss. Ihr Pragmatismus half ihr ebenso wie die Fähigkeit, sich Verbündete zu suchen. Frau, jung, Osten, wertkonservativ - das waren Trümpfe, die das Fehlen einer Hausmacht ausglichen. Als die Bundestagsabgeordnete und DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld sich 1996 mit den Grünen überwarf und zur CDU wechselte, teilte Göring-Eckardt den verdutzten Parteifreunden in Thüringen mit, dass sie für den Bundestag kandidieren werde. Abgesprochen hatte sie diesen Schritt nicht.
Zu schwach für die Rolle als Fraktionschefin
Als die Grünen 2002 zum zweiten Mal eine Regierung mit der SPD eingingen, da wollte Werner Schulz, ostdeutscher Abgeordneter und innerparteilicher Gegner von Joschka Fischer, das Amt des Fraktionschefs erobern. Fischer wusste das zu verhindern. Göring-Eckardt gewann das Duell, drei Stimmen fehlten dem Fischer-Kritiker am Ende. Zusammen mit der Hamburgerin Krista Sager machte Göring-Eckardt an der Fraktionsspitze einen guten Job, hielt zumindest die Truppe zusammen. Das war nicht leicht angesichts der Eigenmächtigkeit des Gottvaters Fischer, angesichts des schwierigen Partners SPD und einer Grünen-Fraktion, die sich am Regieren wundrieb. Dass sie sich selbst dabei auch verbogen hat, gibt Göring-Eckardt heute zu. Anders wäre ihr Sinneswandel von der überzeugten Verteidigerin der Agenda 2010 zur selbst für grüne Verhältnisse linken Sozialpolitikerin kaum zu erklären. Es ist allerdings ein Schwenk, den viele Grüne vollzogen haben, Trittin nicht minder als sie. Für die Rolle als Fraktionschefin galt sie 2005, nach dem Ausscheiden der Grünen aus der Regierung, dann als zu schwach. Fischers „Dream-Team“, Künast und Fritz Kuhn, gewann die Wahl; Göring-Eckardt - die mit Trittin antrat - bekam gerade einmal zehn von 71 Stimmen.
Doch sie gab nicht auf. Gewählt werden musste in jener Sitzung auch eine Vizepräsidentin des Bundestags. Zugesagt hatte man den Posten - als Nachfolgerin von Antje Vollmer - der Abgeordneten Marieluise Beck, die am längsten in der Fraktion saß und von ihrem Auftreten gut zu dem Amt gepasst hätte. Da aber schon viele Wahlen stattgefunden hatten, erklärte Beck sich bereit dazu, ihre Wahl um eine Woche zu verschieben. In dieser Woche brachte sich Göring-Eckardt ins Spiel. Generationswechsel und der Osten waren abermals die Argumente, die ihr Zustimmung brachten. Wieder einmal hatte die Thüringerin gesiegt, ohne dass sie als Trickserin dastand oder gar ein Blutbad angerichtet hätte. Als Vizepräsidentin wirkte sie fortan souverän, in Talkshows erhielt sie perfekte Haltungsnoten als Politikerin der nachdenklichen Art. Ihr Wirken als Präses der Evangelischen Synode und als Kirchentagspräsidentin passte dazu.
Herausragende Eigenschaften
Sich den Umständen anzupassen, schnell zu peilen, wohin die Reise geht, Widerstände zu erkennen und zurückzuweichen - das beschreiben diejenigen, die sie kennen, als herausragende Eigenschaften Göring-Eckardts. Aus einer Minderheitenposition heraus gekämpft zu haben - dafür ist die Mutter zweier studierender Söhne nicht bekannt. Manche bezeichnen ihr Agieren als übertaktisch oder auch feige, andere nennen es clever und von dem nötigen Opportunismus bestimmt, den ein Politiker braucht, um nach vorn zu kommen. Dass sie Show und Polemik sehr dosiert einsetzt, kein Riesen-Ego vor sich herträgt, dass sie taktisch beweglich ist und sich nach allen Seiten absichert, erinnert viele Parteifreunde an die Bundeskanzlerin. Wie sie ist Göring-Eckardt keine gute Rednerin, auch wenn ihr Auftritt besser geworden ist. Und wie Angela Merkel kann sie in kleinen Runden überzeugen, ihren Witz und Humor zur Geltung bringen. Vielleicht ist es dieser Politikertyp, der sich in Zeiten des Shit-Storms hält und für Führungsaufgaben geeignet ist.
Als wichtigster Berater, als Coach gilt ihr Ehemann, der Pfarrer Michael Göring, der 35 Jahre im thüringischen Ingersleben wirkte und mit 60 Jahren gerade in den Ruhestand gegangen ist. Göring, so sagen Vertraute, ist ein Stratege, ausgestattet mit einem Gespür für Macht und die Bedeutung von Netzwerken, ohne dass er selbst eine Führungsrolle spielen könnte. Vor zwei Jahren hatte er, der selbst bei den Grünen ist, zu einer Gesprächsrunde ins Pfarrhaus eingeladen - „Gatten im Schatten“ hieß sie. Eingeladen war unter anderen der Ehemann der CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht.
Im Schatten anderer Grüner steht Göring-Eckardt nicht mehr. Sie ist selbstbewusster und lauter geworden. Ihr biographisch frühes Präsidentenleben hat sie nun eingetauscht gegen ein Leben an der vordersten Kampffront der Politik. Sie ist Sozialpolitikerin geworden, weil sie weiß, dass die Grünen auf diesem Feld noch punkten können. Sie verliert selbst im Hintergrundgespräch kein gutes Wort über Schwarz-Grün, denn das könnte zu einer Killergeschichte für das grüne Wahlergebnis werden. Ihre Argumente gegen ein Bündnis mit der Union, wie das böse Betreuungsgeld, wirken allerdings weit hergeholt. Wenn es zu einer Koalition mit grüner Beteiligung käme, dann würde sie womöglich Ministerin werden. Wahrscheinlicher aber ist der Fraktionsvorsitz. Ob sie ein politisches Alphatier ist, das an der Spitze der Reformer den Kurs der Grünen bestimmt, ist noch ungewiss. Gegenüber dem zwölf Jahre älteren Jürgen Trittin hat Katrin Göring-Eckardt allerdings einen großen Vorteil: Zeit.