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Transatlantische Partnerschaft : Die europäische Illusion

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Flagge zeigen: Bundeswehrsoldaten kurz nach der Ankunft in Litauen im Februar 2017. Sie sind Teil eines NATO-Bataillons zur Abschreckung Russlands. Bild: dpa

Das Buch wurde vor dem russischen Überfall auf die Ukraine abgeschlossen. Aber es liest sich im Licht der neuen Entwicklung wie eine gerade noch rechtzeitige Mahnung zur Umkehr.

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          Politische Bücher kommen und gehen. Je nach Anlass, je nach Gemengelage, je nach Konjunktur des öffentlichen Interesses. Aber manche bleiben. Das geschieht dann, wenn sie ein Thema nicht nur aufgreifen, sondern es formen und weiterentwickeln. Wenn aus ihnen ein politischer Fahrplan nicht nur für die unmittelbare Gegenwart, sondern auch für die nach Möglichkeit nicht allzu ferne Zukunft hervorgeht. Und wenn dieser Fahrplan mehr ist als eine Vision, mehr als ein frommer Wunsch. Wenn dieser Fahrplan zumindest eine reelle Chance hat, nicht nur wahrgenommen, sondern auch umgesetzt zu werden. Dann bleiben politische Bücher länger als die von ihnen beschriebene Politik ihrer eigenen Gegenwart.

          In Zeiten, in denen – wieder einmal – viel von Zeitenwenden, von Zäsuren, von Umbrüchen und Umwälzungen die Rede ist, tut ein Autor gut, der bereits politische Bücher geschrieben hat, die bleiben. Vor zehn Jahren veröffentlichte Josef Braml ein Buch zum „amerikanischen Patienten“. Das war im besten Sinne transatlantische Politikberatung. Der international ausgewiesene USA-Kenner und heutige Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission, einer globalen Plattform für den Dialog zwischen Amerika, Europa und Asien, stach nicht nur hervor mit einer sehr treffenden Prognose der Politik Washingtons – er befürchtete bereits am Ende der ersten Amtszeit von Barack Obama aufgrund der massiven Probleme der Vereinigten Staaten einen neuen Protektionismus, eine verschärfte Ressourcenrivalität mit China, eine zunehmende Sicherung eigener Interessen sowie eine Abwälzung sicherheitspolitischer Lasten auf die westlichen Verbündeten.

          Braml gab den Europäern darüber hinaus wertvolle Hinweise für ihren künftig notwendigen Umgang mit den USA. Eine zentrale Empfehlung, die zwar bislang nicht umgesetzt wurde, aber nun angesichts von Russlands Überfall auf die Ukraine eine Renaissance nicht zuletzt in Deutschland als Moskaus wichtigstem Gaskunden in Europa erlebt: eine transatlantische Umwelt- und Energiepartnerschaft, die Forschung und Investitionen im Bereich neuer Technologien und den freien Handel alternativer Kraftstoffe im multilateralen Rahmen fördert, als Grundlage für eine multilaterale, umweltverträgliche Energiesicherheitspolitik.

          Zwar hat Braml sein neues Buch vor dem russischen Überfall vollendet – die Druckfahnen lagen Anfang Februar vor. Aber erneut ist seine Stärke die vorausschauende Empfehlung, die auf historischer Erfahrung basiert. So nimmt er den europäischen Weg im Umgang mit Russland vorweg, der nun – wieder – eingeschlagen wird: glaubwürdige militärische Abschreckung, verbunden mit diplomatischer (Wieder-)Annäherung. Denn für Braml hat sich gegenüber Moskau historisch bewährt: „Es braucht eine Kombination aus einer Politik der Stärke und einer Politik der ausgestreckten Hand.“ Damit knüpft Braml ausdrücklich an das an, was Helmut Kohl und Horst Teltschik in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre auch in seinen Augen sehr erfolgreich praktiziert hatten, aufbauend auf dem NATO-Doppelbeschluss und der Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr.

          Zu dieser sicherheitspolitischen Tradition zurückzukehren bedeutet für Braml, keine Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass militärische Aggressionen nicht unbeantwortet bleiben werden, und sicherzustellen, dass auch glaubwürdige militärische Mittel zur Abschreckung vorhanden sind – eine Vorwegnahme des nun verkündeten 100-Milliarden-Nachrüstungsprogramms der Ampelkoalition. Es bedeutet für Braml aber ebenso, nach neuen Wegen zu suchen, wie das Sicherheitsdilemma in Europa aufzulösen ist, wie neues Vertrauen geschaffen werden kann. Dabei geht es ihm um Initiativen für eine neue Sicherheitsarchitektur, in der die Interessen aller Parteien aufgehoben sind, Sicherheit miteinander, nicht gegeneinander – dies dürfte für die nun kommenden Jahre umso mehr gelten, nicht trotz, sondern gerade wegen der russischen Aggression und ihrer Eindämmung durch den Westen.

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