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Menschenrechte : Kampf um die Deutungshoheit

  • -Aktualisiert am

Lee Kuan Yew am 4. November 2008 Bild: AP

Schon in den 1990er-Jahren wollten asiatische Staaten von globalen Menschenrechten nichts wissen. Heute ist auch das einst demokratische Russland ins andere Lager übergewechselt. Ein Sammelband über den ewigen Kampf ums Recht.

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          Für das demokratische Russland waren Menschenrechte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zunächst eine wichtige Legitimationsquelle. Nicht erst seit den Ereignissen im ukrainischen Butscha im Frühjahr dieses Jahres wissen wir, dass von dieser Legitimation nichts geblieben ist. Im Sammelband „Embattled Visions. Human Rights since 1990“ beschreibt Politikwissenschaftler Robert Horvath, wie Nationalisten im Zusammenspiel mit politischen und religiösen Eliten den Menschenrechtsschutz in Russland nach und nach ausgeschaltet haben. Mit diesem und weiteren aktuell relevanten Artikeln erscheint „Embattled Visions“ im passenden Moment, um die nun eskalierte Phase eines wortwörtlichen Kampfs um Deutung und Bewahrung von Völker- und Menschenrecht besser zu verstehen. Der Blick zurück hilft auch, die Koalition gegen Menschenrechte zwischen China und Russland zu kontextualisieren.

          Die Entwicklung der Menschenrechte in den vergangenen 30 Jahren, wie sie der Sammelband der Herausgeber Jan Eckel und Daniel Stahl nachzeichnet, war keine lineare Erfolgs- oder Misserfolgsgeschichte. Vielmehr gab es Fortschritte hier, Rückschritte dort und scharfe Auseinandersetzungen in wieder anderen Konstellationen.

          Nach dem Ende der Sowjetunion und einer Welle der Demokratisierungen prägte eine Euphorie für Menschenrechte den Anfang der 1990er-Jahre. 1993 bestätigten die UN-Mitgliedstaaten auf der Weltmenschenrechtskonferenz von Wien sowohl das von Entwicklungsländern eingeforderte Recht auf Entwicklung als auch die Unteilbarkeit und Universalität der Menschenrechte. Die Neunziger brachten Innovationen des Völkerstrafrechts mit sich, wie die Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda sowie das Römische Statut, das den Grundstein für den Internationalen Strafgerichtshof legte. Zu Beginn der 2000er-Jahre setzte die UN-Behindertenrechtskonvention neue Akzente. In Europa entwickelte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu einem suprastaatlichen Quasiverfassungsgericht mit rasch anwachsendem Zuständigkeitsbereich. Fast alle ehemaligen Ostblockstaaten traten dem Europarat bei und nahmen die Europäische Menschenrechtskonvention teils in die eigenen Verfassungen auf.

          Diskursive Aushöhlung der Menschenrechtsdebatte

          Der Historiker Jan Eckel macht drei wichtige Tendenzen der Entwicklung der Menschenrechte seit 1990 aus, nach denen die Herausgeber den Sammelband untergliedern. Erstens die Expansion des Bedeutungs- und Anwendungsbereichs von Menschenrechten. Zweitens neue politische und militärische Interventionen, die mit Menschenrechten begründet wurden. Wobei hier der Beitrag der Historikerin Alexa Stiller besonders interessant ist, der nachspürt, wie die militärische Intervention im ersten Irakkrieg und die Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts zusammenhängen. Eine dritte Tendenz sieht Eckel in der Zurückweisung der Menschenrechtsidee und ihres Anspruchs auf Universalität.

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