Verknotete Geschichte : Die Nöte der „Achtundfünfziger“
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Die rote Nelke als Anstecknadel - das Parteisymbol der Linken. Bild: Die Linke
Eine Geschichte der „neuen Linken“ vor der großen Rebellion, die mit der Jahreszahl 1968 verbunden ist.
Wer kennt sie nicht, die Rede von den „Achtundsechzigern“, jener studentischen Rebellengeneration, die im letzten Drittel der 1960er Jahre auf die Barrikaden ging? Wer ohne weitere Erläuterung von den „Achtundfünfzigern“ spricht, dürfte indes irritierte Blicke hervorrufen. Sie sind ein Thema in Michael Freys grundlegender Studie zu den Ursprüngen und Formungsprozessen einer Neuen Linken in der Bundesrepublik Deutschland ab etwa Mitte der 1950er Jahre.
Diese „Achtundfünfziger“, ein Begriff, den Jürgen Seifert, einer ihrer führenden Repräsentanten, geprägt hat, sorgten für „Unruhe in der Studentenschaft“. Das zumindest behauptet ein Beitrag in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“, den er 1958 gemeinsam mit Ulrike Meinhof publizierte. Beide engagierten sich im Studentischen Arbeitskreis für ein kernwaffenfreies Deutschland und sorgten weit über ihren beschaulichen Studienort Münster hinaus für Aufruhr. Dies war ein Protest, der aus den dichotomischen Denkmustern des Kalten Krieges auszubrechen suchte und für zunehmende Spannungen mit den traditionellen Parteien einer demokratischen Linken sorgte.
Schon seit langem ist bekannt, dass an jenem Aufbegehren der Jahre 1958 und 1959 Personen, Gruppierungen und Zeitschriften – nicht zuletzt auch Klaus Rainer Röhls „konkret“ – beteiligt waren, die Geld aus der DDR erhielten und Teil der SED-Westarbeit waren. Michael Frey verschweigt diese Zusammenhänge keineswegs, hält aber die daran geknüpfte Bewertung einer „Unterwanderung“ oder sogar „Fernsteuerung“ für übertrieben. Dies unterschätze die eigenständige Motivation einer heterogenen Schar von Akteuren, die jene frühe Neue Linke prägte. Bedeutsamer als die östliche Infiltration sei dagegen der große Missmut über das zögerliche Verhalten der SPD in Abrüstungsfragen gewesen.
Eine Vielzahl einzelner Episoden dienen Frey dazu, die Formierung einer Neuen Linken als längerfristigen politischen Prozess innerhalb des Kalten Krieges nachzuvollziehen. Weder die These von der Generationseinheit noch die Verbandsgeschichte des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) stehen bei ihm im Zentrum. Er verabschiedet sich auch vom „Eruptionsparadigma“ einer Protestbewegung, die nach der Ermordung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 „scheinbar aus dem Nichts“ kam. Diese Argumentation ist keineswegs neu und fügt sich in die vorherrschende Auffassung der Zeitgeschichtsforschung ein. Statt von einer scharfen Zäsur 1967/68 spricht sie lieber von den „langen sechziger Jahren“, die im letzten Drittel der 1950er einsetzten und bis Anfang der 1970er Jahre andauerten. Damit verbunden ist meist die Vorstellung einer in jenem langen Jahrzehnt überschrittenen Modernisierungs-, Liberalisierungs- und Demokratisierungsschwelle.
Eine solche gesellschafts- und kulturgeschichtlich dominierte Sichtweise verfolgt Frey allerdings weniger. Er schreibt ein Stück Politikgeschichte, das er organisations-, netzwerk- und ideenhistorisch zu erschließen sucht – dabei mit transnationalem Anspruch. Schließlich blickt er nicht nur auf die Spezifika der bundesdeutschen Entwicklung, sondern stellt ihr den Fall der Vereinigten Staaten gegenüber. Herausgekommen ist weniger eine Vergleichs- oder Transfergeschichte als vielmehr eine fundierte Parallelgeschichte, die aber einen synchronen globalen Protestzusammenhang erkennbar werden lässt. Es waren die Grundbedingungen des Kalten Krieges und das Aufbegehren gegen mit ihm verbundene politische Restriktionen, die ähnliche Verläufe bei der Herausbildung einer Neuen Linken dies- und jenseits des Atlantiks beförderten.