NATO und Russland : Vom Beitrittswunsch zur Bedrohung
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NATO-Hauptquartier in Brüssel. Bild: dpa
Aus einer schwachen Position das Beste machen, das kann Wladimir Putin. Ein „Feind“ wie die NATO wird dafür dringend gebraucht.
Hat der Westen in der Frage der NATO-Ost-Erweiterung Russland hinters Licht geführt? Und liegt in diesem „gebrochenen Versprechen“ die Ursache der russischen Militäraggressionen gegen Georgien und die Ukraine? Diese Fragen erhitzen seit geraumer Zeit die Gemüter. Die Sicherheitsexpertin Oxana Schmies hat einen instruktiven Sammelband herausgegeben, in dem sich sowohl Zeitzeugen als auch Analytiker mit dem Verhältnis des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses zu Russland auseinandersetzen. Boris Jelzin weckte am 20. Dezember 1991 hohe Erwartungen, als er einen russischen NATO-Beitritt zum „langfristigen politischen Ziel“ erhob. Noch im Jahr 2000 soll Putin Präsident Clinton gefragt haben, was er von diesem Plan halte. Solche Äußerungen wirken heute wie aus der Zeit gefallen. Mittlerweile erblickt die NATO in Russland die „Hauptbedrohung“ für die nächsten zehn Jahre.
Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Der Kreml hatte die Ost-Erweiterung schon in der nationalen Sicherheitsstrategie von 2009 als „inakzeptabel“ bezeichnet und diese Formulierung 2015 noch einmal bekräftigt. Am Anfang der russischen Jeremiaden über die NATO steht James Bakers berühmte Formulierung „Not one inch eastward“, die am 9. Februar 1990 in einem Treffen mit Gorbatschow fiel. Damals verzichtete Gorbatschow allerdings auf eine schriftliche Fixierung dieser Aussage, die von amerikanischer Seite als Verhandlungsposition und von russischer Seite als Zusicherung aufgefasst wurde.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion drangen zahlreiche osteuropäische Staaten auf eine Mitgliedschaft im westlichen Verteidigungsbündnis. Die NATO war sich allerdings uneinig. Im Sommer 1993 wurden in Washington intensive Diskussionen geführt. Das Pentagon war gegen eine Ost-Erweiterung, die Regierung dafür. Am Ende stand ein Kompromiss, in dem den osteuropäischen Ländern eine „Partnership for Peace“ angeboten wurde. Allerdings präzisierte Präsident Clinton bereits im Januar 1994, dass die Frage eines NATO-Beitritts für diese Länder nur eine „Frage des Wann und Wie“ sei. Eine entscheidende Rolle spielte in Washington, London und Paris der Jugoslawien-Krieg, der allen die Notwendigkeit eines starken Militärbündnisses in Europa klar vor Augen führte.
Man kannte Moskaus Empfindlichkeiten, war aber bereit, eine Abkühlung der Beziehungen in Kauf zu nehmen. Clinton bezeichnete Russland als „unglaubliches Chaos“: Der Kreml hatte gerade eine tiefe Verfassungskrise durchgestanden, in Tschetschenien kündigte sich ein Krieg an, die Wirtschaft befand sich im freien Fall. In der Frage der NATO-Erweiterung spielten auch Rivalitäten zwischen den westlichen Bündnispartnern eine Rolle: Großbritannien blickte skeptisch auf eine engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland, Frankreich hielt überhaupt vorsichtige Distanz zur NATO, und Deutschland wollte seine östlichen Nachbarn nicht verärgern. Auf beiden Seiten des Atlantiks war man sich einig, dass das schwankende Russland „kostengünstig“ stabilisiert werden müsse. Die Administration Clinton hätte sogar eine Aufnahme Russlands in die NATO unterstützt, wenn es sich zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie entwickeln würde.