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Ludwig Haas : Auf das Ministeramt verzichtet

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Das Ehepaar Haas um 1902 Bild: Abb. a.d.bespr.Band

Weil er Jude war, verzichtete er auf ein Ministeramt. Traurige Kapitel schrieb die Geschichte schon vor der NS-Zeit.

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          Der Zusammenbruch der Weimarer Demokratie und die nachfolgende nationalsozialistische Herrschaft verstellen häufig den Blick auf die Leistungen derjenigen, die diesen Staat mit einer dem Parlament verantwortlichen Regierung aufbauten. Einer von ihnen war der linksliberale jüdische Politiker Ludwig Haas, dem ein biographischer Sammelband gewidmet ist. 13 Aufsätze ordnen Ludwig Haas in sein politisches, gesellschaftliches und familiäres Umfeld ein und beschreiben auch das weitere Schicksal seiner Familie, dem er durch seinen frühen Tod 1930 entging.

          Die Etappen seiner Karriere weisen alle Attribute damaliger Bürgerlichkeit auf: Während der ersten Semester seines Jurastudiums leistete er Wehrdienst als Einjährigfreiwilliger. Während seiner Studienzeit in Heidelberg, München und Freiburg wurde er Mitglied der jungen jüdischen schlagenden Verbindungen, die wenig später den „Kartell Convent der Verbindungen deutscher Studenten jüdischen Glaubens“ mitbegründeten. Später wurde er Mitglied der B’nai B’rith, die ähnlich wie die Freimaurer organisiert waren. All dies drückte den selbstbewussten Anspruch auf Teilhabe und Gleichwertigkeit in der gesellschaftlichen Wahrnehmung aus. Er selbst sah sich stets als deutschen Juden und stand somit dem Zionismus kritisch gegenüber.

          Nach seinem Studium ließ sich Haas in Karlsruhe als Rechtsanwalt nieder. „Recht geht vor Macht“ war das Motto einer seiner Studentenverbindungen, und dieser Grundsatz blieb sein politisches Glaubensbekenntnis. Ein funktionierender Rechtsstaat bildete für ihn die Voraussetzung der parlamentarischen Demokratie. Zunächst Stadtrat, wurde er 1912 Reichstagsabgeordneter der Fortschrittlichen Volkspartei und blieb es bis zur Revolution. Während er als Landwehroffizier Kriegsdienst leistete, nahm er weiter sein Mandat wahr. Seine Rede gegen die „Nachweisung der beim Heere befindlichen wehrpflichtigen Juden“ im Jahre 1916 blieb lange im öffentlichen Bewusstsein. Während der Revolution sorgte er als Innenminister in Baden für einen geordneten Übergang zur Republik. Er war Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei, wurde als deren Abgeordneter zunächst in die Nationalversammlung und später in den Reichstag gewählt, dem er bis zu seinem Tode 1930 angehörte.

          Schon seit 1905 trat er offen für ein Zusammengehen mit den Sozialdemokraten ein, was zunächst nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch bei den Sozialdemokraten auf wenig Gegenliebe stieß. In der Weimarer Koalition sah er seine Vorstellungen zunächst verwirklicht. Mit dem Zentrumspolitiker und zweimaligen Reichskanzler Joseph Wirth verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Aus Sorge um die politische Entwicklung beteiligte er sich 1924 an der Gründung des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“.

          Haas galt als ausgezeichneter Redner, und ihm wurde die Begabung zugeschrieben, tragfähige Kompromisse zu entwickeln, in einer parlamentarischen Demokratie ideale Fähigkeiten. Obwohl er als ministrabel galt, verzichtete er auf das Amt eines Reichsministers, denn er befürchtete, stets auch als Jude angegriffen zu werden, so dass eine inhaltliche Arbeit kaum möglich wäre. Verdeckten und offenen Antisemitismus erlebte er und trat ihm als deutscher Patriot und deutscher Jude selbstbewusst entgegen.

          In einer sich radikalisierenden politischen Umwelt hatte der Liberalismus in allen Ausprägungen einen schweren Stand. Dies ist der Bezug zu einem Exkurs des Sammelbandes über die Emigration zahlreicher politischer Weggefährten und deren politisches Schicksal nach 1933. Ludwig Haas erlebte zwar den Niedergang seiner Partei, aber nicht mehr den beschleunigten Zerfall der Weimarer Republik. Eine wirkmächtige und Deutschland nachhaltig prägende Verbindung von Linksliberalismus und Sozialdemokratie übernahm erst rund zwei Generationen nach Ludwig Haas die Regierung. Der Sammelband deckt viele Aspekte ab und regt an, die Weimarer Republik nicht nur vom Ende her zu betrachten.

          Ewald Grothe/Aubrey Pomerance/Andreas Schulz (Hrsg.): Ludwig Haas. Ein deutscher Jude und Kämpfer für die Demokratie.

          Droste Verlag, Düsseldorf 2017. 320 S., 49,90 .

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